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pax christi

menschen machen frieden - mach mit.

Unser Name ist Programm: der Friede Christi. 

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. 

» Alle Informationen zur Deutschen Sektion von pax christi

Rundbrief 2018-2

!. Weltkrieg, Spiritualität, Atomwaffen in Büchel, Wirtschaftsseminar, Rovaja und Afghanistan

Liebe Freundinnen und Freunde von pax christi im Bistum Trier!

 

„Wir wollen niemals mehr einen Krieg rechtfertigen, sondern uns mit all unseren Kräften für den Aufbau des Friedens einsetzen. Alle unsere Gruppen, Bewegungen, Vereinigungen, Konfessionen und Organisationen, wir richten alle unsere Energien im spirituellen, intellektuellen, künstlerischen und ökonomischen darau,f aktiv einen gerechten Frieden zu schaffen.“

Diese Sätze stammen aus dem Aufruf der Religionen für einen gerechten Frieden vom 19. April, erklärt von Vertretern verschiedener Religionen und Konfessionen in Notre Dame de Lorette bei Arras, wo wir zum Hundertjahrgedenken an den Ersten Weltkrieg mit einer Gruppe von pax christi im Bistum Trier und dem protestantischen Dekanat Zweibrücken zu Gast waren.

Die Erklärung versucht eine zeitgemäße Antwort auf die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und die unzähligen Toten; 580 000 Namen stehen allein auf den Tafeln der Erinnerung, errichtet bei Notre Dame de Lorette. Die katholische und protestantische Kirche in Deutschland hat damals den Krieg gerechtfertigt und als Gottes Wille überhöht. Die Friedensappelle des damaligen Papstes stießen bei den nationalen Kirchen beider Seiten auf taube Ohren. Die Identifikation von Christen mit gerechtfertigter Gewalt, als Gottes Wille, und den jeweiligen Feindbildern muss aus unserer heutigen Sicht als unchristlich und pervertierter Glaube bewertet werden. Das hat auch das Mitglied unserer Gruppe Dekan Peter Butz in einem kurzen Statement zu dem Aufruf getan.

 

Dass erst nach einem weiteren Weltkrieg mit noch mehr Toten eine ernsthafte Umkehr begann, gehört zu der tragischen Geschichte in Europa.

Die pax christi Bewegung verdankt ihre Entstehung dem Versöhnungswillen von Christen in Frankreich und Deutschland. Die Erinnerung an Gewalt und Kriege und deren Opfer ist der Ausgangspunkt für diese Umkehr.

So bleiben dieses Gedenken und die Schlussfolgerungen daraus auch hundert Jahre später aktuell und darf uns in unserem aktuellen Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit immer wieder anspornen.

 

Horst-Peter Rauguth, Geistlicher Beirat

 

Beitrag zum Gedenken des 1. Weltkrieges auf dem Friedhof Notre Dame de Lorette von Dekan Peter Butz aus Zweibrücken

 

Über fünfhunderttausend Menschen wurden an dieser einstigen Frontlinie des Großen Krieges maschinell abgeschlachtet. Das ist über fünfhunderttausendmal ein Mensch, ein einmaliger, unverwechselbarer, ein Kind Gottes. Ihr Blut schreit zum Himmel. Und wir müssen vor den Opfern die Sünde unserer Kirche bekennen.

Die Protestantische Kirche hatte im preußisch-deutschen Staat einen hohen Rang. Das hat sie dazu verführt, das Deutsche Reich mit Gottes Reich zu verwechseln, Gehorsam gegen Gott mit dem Kadavergehorsam gegen Kaiser und Obrigkeit, einen guten Christen mit einem guten Untertanen. Bis heute sagen wir zu erwartbar das, was politisch opportun ist.

Wir wollen dagegen bekennen, dass Gott nie in den herrschenden Verhältnissen dieser Welt aufgeht. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Es bleibt unsere Hoffnung. Sie ist erst dann am Ziel, wenn eine Menschheit in einer friedlichen und gerechten Welt sein wird. Wir wollen Zeugen dieser Hoffnung und Zeichen dieses Reiches sein. Wir wollen dafür beten und arbeiten.

Und die Kirche hat die Theologie des Opfers Jesu Christi pervertiert zu einer Verherrlichung von Menschenopfern als sei es gottgefällig und verdiene Gottes Lohn, sich auf dem Schlachtfeld verstümmeln und hinmetzeln zu lassen. Bis heute erheben wir zu kleinlaut und zu kleingläubig unsere Stimme für die Opfer von Gewalt, Krieg, Ungerechtigkeit und der Zerstörung der Schöpfung.

Wir wollen dagegen glauben, dass Gottes Selbstopfer in Jesus Christus zeigt, dass es blasphemisch ist, Menschen zu opfern und dass Gott selbst in jedem Opfer von Krieg und Gewalt mitleidet und mitstirbt und uns zu menschlichem Handeln herausfordert.

Wir bitten Gott um Vergebung und um seinen Geist des Friedens und der Gerechtigkeit und der Liebe zu allen seinen Geschöpfen.

Peter Butz, Dekan des Protestantischen Kirchenbezirks Zweibrücken

Besondere Termine

 

07.07.2018: Aktionstag in Büchel(Landeskirchen, pax christi)

 10.11.2018: Mitgliederversammlung – Einladung folgt

 
 

 

 


Berichte und Hinweise

 

Die Bistumsstelle Trier hat im Januar Abschied von Ihrer ehemaligen Geschäftsführerin  

Marlen Dräger-Ottenbreit (1957-2018)

genommen. Sie starb nach langer schwerer Krankheit.

Die Bistumsstelle verdankt ihr neben der Erledigung der Alltags-aufgaben vor allem den unermüdlichen und stringenten Einsatz für die Gründung der Freiwilligenorganisation SoFiA durch Verbände des Bistums, an deren Aufbau sie dann auch aktiv mitgewirkt hat. Sie hat der Friedensarbeit von pax christi damit im Bistum Trier an einem zentralen Punkt konkretisiert. Wir danken!

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Kunst trifft Krise ... sehen und erkennen, was dahintersteckt.

Zum 7. Mal fand am 25.01.18 eine Veranstaltung mit diesem Titel in Saarwellingen statt. Eingeladen hatten das Atelier ANDRUET, das Ökumenische Netz Rhein-Mosel-Saar und Pax Christi Saar unter dem Titel „Geld und Antisemitismus - Der strukturelle Wahn in der waren-produzierenden Moderne“. Wie schon in der Vergangenheit bildeten ein Bild von Mario Andruet und seine meditative Betrachtung den Einstieg, anschließend wurde der Aufsatz „Geld und Antisemitismus“ von Robert Kurz vorgestellt und diskutiert. Wieder war die Malerei ein besonderer Zugang, sich mit der Krise des Kapitalismus auseinander-zusetzen. Die gleiche Zielrichtung hatte eine Diskussionsrunde am 11.04., die ebenfalls durch Bildbetrachtungen(zu den Künstlern siehe unten) eröffnet wurde. Thema: „Menschen auf der Flucht in der Krise des Kapitalismus“ Es wurde der entsprechende Text von Herbert Böttcher (vgl. die Webseite von exit) gelesen und diskutiert.

Gewalt und Frieden im Judentum, im Christentum, im Islam

Zum obigen Themenabend am 06.03. hatten pax christi Wittlich und  der Christlich-Islamische Gesprächskreis Wittlich eingeladen. Albert Hohmann, pax christi Trier, referierte auf der Basis der Darstellung „Religion und Gewalt“ im Rundbrief 2018-1. Auf dem Hintergrund, dass die Geschichte der drei Religionen auf vielfache Weise miteinander verbunden ist und dass jede von ihnen verschiedene Zweige gebildet hat, wurden vor allem folgende Thesen behandelt: 1. Die Gewaltgeschichte der Religionen ist mit der Gewaltgeschichte staatlichen Handels verbunden. 2. In allen großen Religionen sind Bewegungen entstanden, die sich von Gewalt distanziert und eine neue Ethik des Zusammenlebens aufgezeigt haben. 3. Dennoch ist die ihnen immanente Wahrheitsfrage nicht selten Ursache für Feindbilder und Rechtfertigung von Gewalt.

Unter den Teilnehmern entwickelte sich besonders zu der Frage, inwieweit geschichtliche Situationen dazu beigetragen haben, Gewaltpotential in den Religionen zu verankern, eine lebhafte Diskussion. Bedauerlicherweise nahmen keine muslimischen Mitbürger an dem Diskussionsabend teil.

 

Internationale Woche gegen Rassismus im Atelier Mario Andruet

Kurdisch, Arabisch, Französisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und die Dialekte der umliegenden Dörfer – in diesem Sprachgemisch verstän-digten sich Besucher und Künstler problemlos. Sie trafen sich am 11.03. im Atelier Mario Andruet zum Austausch über Kunstwerke, zur Diskussion über noch in der Entstehung begriffene Werke, zu kurdischer Musik von Salah und Khalil, zu Kaffee und Kuchen. Rassismus war ein Thema, das jeden berührte; vorgelebt wurde hier das Gegenteil.

In der Kunst des syrischen Kurden Kadro spiegeln sich gesellschaftliche und philosophische Themen wider, die er zurücklassen musste. Sein Landsmann Haider präsentierte Radierungen und Grafiken der inzwischen zerstörten Altstadt von Aleppo, die er noch dort angefertigt hatte, deren Spiel mit Licht und Schatten, harten und filigranen Linien begeisterte. Der aus Damaskus stammende Maher wagte erst hier in Deutschland seine ersten künstlerischen Schritte und wählte als eines seiner ersten Motive die Loreley, weil ihm die Sage so gut gefällt. Sein Mentor, Wolfgang Milbradt, stellte seinerseits das Flüchtlingsporträt eines Afrikaners aus, der versucht, nach Spanien zu kommen, abgehalten vom Stacheldraht. Mario Andruet sprach über ein gerade begonnenes Werk, eines seiner typischen riesigen Triptychen, diesmal im Breitformat: eine kurdische Mutter mit ihrem toten Kind im Arm, getroffen von einer Kugel aus einem in Deutschland gebauten Gewehr.

Nebenbei stellten sich auch praktische Fragen nach einer adäquaten Wohnung, nach der Möglichkeit für ein Hochschulstudium, nach einem Arbeitsraum, nach weiteren Aktivitäten. Diesen Austausch wollen wir fördern, so Waltraud Andruet, mit dem Projektträger „500 Landinitiativen“ zu dem Thema:  KUNST BEWEGT MENSCHEN“.

Die Ausstellung leitete weitere Aktionen der Woche gegen Rassismus  ein: am 14.03. den Vortrag von Prof. Bernhardt Haupert zum Thema „Rassismus, Faschismus und alter/neuer Populismus“ und am 06.03. eine Mahnwache am Schlossplatz Saarwellingen gegen Rassismus, zugleich zur aktuellen Lage im Nahen Osten/ Syrien. Die Botschaft lautete: Nein zu Rassismus Ja zu 100 % Menschenwürde!

Waltraud Andruet sagte „Dazu bekennen wir uns und wir wollen Solidarität zu bekunden mit den Menschen in den Kriegsgebieten.“ Mit dabei waren auch Bürgermeister von Saarwellingen und Nalbach. Die beiden Gemeinden haben hervorragende Flüchtlingsarbeit geleistet und kennen sich damit aus.  Beiden ist es wichtig, nationalistischen und rassistischen Einstellungen in Deutschland und Europa, die besorgniserregend sind, entgegenzutreten.

Den Abschluss der Woche gegen den Rassismus  bildete am 17. März auf dem Schlossplatz in Saarwellingen die Aktion „Stolpersteine“. Es galt, die 67 in der Gemeinde zum Gedenken an die in der NS-Herrschaft ermordeten Mitbürger verlegten Stolpersteine aus Messing gründlich zu putzen. Nach der Aktion sind die Stolpersteine wieder gut sichtbar und tragen zu einer lebendigen Erinnerungskultur bei.

Saarbrücken: Ostermarsch gegen militärische Aufrüstung                Am 31.03. hat in der Saarbrücker Innenstadt der Ostermarsch 2018 stattgefunden. Das Motto in diesem Jahr lautete „Abrüsten statt Aufrüsten“. Nach Angaben der Polizei haben sich rund 450 Demon-stranten an der Veranstaltung beteiligt. Organisiert wurde die Veran-staltung vom Friedensnetzwerk Saar, zu dem rund 20 Organisationen gehören. Thomas Rödl von der Deutschen Friedensgesellschaft war der Hauptredner. Er vertiefte in der Abschlusskundgebung die Forde-rungen der Veranstaltung. Konkret ging es um den Stopp von Militärflügen über dem Saarland, um das Ende des Bundeswehrein-satzes im Nahen Osten und um den Abzug von Atomwaffen aus Büchel. Unser Geistlicher Beirat, HoPe Rauguth, zitierte in seinem Bei-trag das bekannte Gedicht von Kurt Marti: „Das könnte den Herren der Welt so passen, wenn erst nach dem Tod die Gerechtigkeit käme…“

Protestaktion in Baumholder: Nein zum "Tag der Bundeswehr"! Die Kampagne "Krieg beginnt hier" protestierte am 09.06. unter Beteiligung der AGF, des Friedensnetzes Saar, der Friedensinitiative Westpfalz und der DFG-VK in Baumholder gegen dieses Werbeforum der Bundeswehr. Im Aufruf wurde die Veranstaltung als eine „Art militärisches „Volksfest“ mit Hüpfburgen über Gulasch-„Kanonen“ bis hin zu ausgestellten Panzern und anderen Waffen“ gekennzeichnet, mit dem versucht werde, die Bevölkerung von Militäreinsätzen zu überzeugen und junge Leute für den Kriegsdienst zu werben. Besonders wurde in Baumholder kritisiert, dass dem Ganzen auch noch ein ökologisches Mäntelchen umgehängt wird, während die Flugzeuge in der Region mit Übungsflügen der Bevölkerung die Ruhe rauben und Luft und Wasser vergiften.  

Netzversammlung am 09.06. mit dem Thema „Mit Marx über Marx hinaus“

Das Ökumenische Netz  hat den 200. Geburtstag von Karl Marx als Anlass genommen, um noch einmal sein Werk und seine Bedeutung im 21. Jahrhundert zu reflektieren. Die Grundlage bildete die Marx-Rezeption von Robert Kurz über den Fetischismuskritiker Marx. Es ging zunächst um den „exoterischen“ Marx, wie es das Zitat aus dem Kom-munistischen Manifest(1848) auf den Punkt bringt: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“. Im nächsten Schritt richtete sich der Blick auf den „esoterischen“ Marx: „Damit wird der Zweck der gesamten Veranstaltung erkennbar. Es geht darum, aus Geld Mehr-Geld zu machen. Dieser Zweck ist ein abstrakter Selbstzweck. Alles Konkrete, der Gebrauchswert ebenso wie die konkrete Arbeit, ist lediglich wichtig als stofflicher Träger von etwas Abstraktem, der Gebrauchswert als Träger des Tauschwerts, die konkrete Arbeit als Trägerin der abstrakten Arbeit.“ Darin eröffnet sich dann „der   prozessierende Widerspruch“ des Kapitals, eben „dadurch, dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt.“ Die Versammlung war überzeugt, dass erst diese Analyse und Kritik der Form der kapitalistischen Gesellschaft die Möglichkeit einer emanzipatorischen Überwindung der (post-)modernen Welt und ihrer zerstörerischen Dauerkrise eröffnet.

Ankündigungen Im Herbst wird nach mehrjähriger Weiterentwicklung die Neufassung des Netz-Grundlagenpapiers „Das ‚Ganze’ verändern“ erscheinen, das bei der Netzversammlung am 18. November in Koblenz den Mitgliedern und Interessierten zur Diskussion gestellt wird. Darin wird die an die Wurzel gehende Gesellschaftskritik, inkl. einer Kritik von vermeintlichen Alternativansätzen zum Kapitalismus, zusammengefasst und vermittelt mit theologischen Einsichten erläutert.

Zuvor ergeht noch eine Einladung zum 13/14.10. Diese Wochenend-veranstaltung heißt:Von den Rändern her denken - Eine gesellschaftliche und theologische Kritik der Arbeit im Kapitalismus“

 

 

Spiritualität

 

Erbarmen und sich widersetzen

Wir danken Bernd Werle, dass er die Veröffentlichung seines von Thomas Gerhard zitierten Artikels im Rundbrief ermöglicht hat.

Es ist himmelschreiend, wie hart und kalt, wie mitleidlos es in unserer Welt zugehen kann. Opfer der Mitleidlosigkeit finden sich in unserer eigenen Umgebung, aber auch in der sogenannten Dritten Welt, in der Abermillionen Menschen ausgeschlossen sind von Wohlstand und Wohlergehen. Mitleidlosigkeit entdecke ich im rücksichtslosen Machtspiel der Völker, in dem unvorstellbar viele Menschen unter die Räder kommen, ethnisch oder religiös weggesäubert oder in die Flucht getrieben werden. Wo das technokratische Wertesystem, in dem allein Funktionalität, Rationalität, Effektivität und Wirtschaftlichkeit zählen, maßgeblich das Leben bestimmt, zählen Gefühle wenig und das Menschliche zieht meist den Kürzeren. In der Wirtschaft, in der das Prinzip der freien Marktwirtschaft alle anderen lenkenden Prinzipien besiegt hat, herrscht ein irrsinniger Konkurrenzdruck, dem unzählige Menschen zum Opfer fallen. Mitleid ist fehl am Platz in der Welt der ‘Gewinner und Verlierer’, in der ‘das Hemd näher ist als der Rock’ und ‘jeder für sich’ kämpft.

Neben diesem Kältestrom gibt es in unserer Kultur und Geschichte auch einen Wärmestrom (Ernst Bloch). Ihm begegnen wir in Oasen des Erbarmens, nämlich dort, wo Menschen aktiv werden, um das Leid der Flüchtlinge, Kriegsopfer und Hungernden zu mildern; wo Menschen auf die Gefühle anderer Rücksicht nehmen, andere nicht fallen lassen, sondern versuchen, solidarisch zu sein. Spüren kann man diesen Wärmestrom der Menschlichkeit, wo Ausländern, Asylsuchenden oder Minderheiten Toleranz und Gastfreundschaft entgegengebracht wird; vor allem aber dort, wo Menschen ihre Gleichgültigkeit überwinden und damit aufhören, ihre Ellbogen zu benutzen, um rücksichtslos ihre Eigeninteressen durchzusetzen.

In unserer Kultur hat sich dieser Wärmestrom durch die Jahrhunderte hindurch in sozialen und karitativen Werken gezeigt. Und er zeigt sich nicht minder dort, wo Menschen sich einfach nur ausweinen und mit Mitleid rechnen können, wenn sie etwas falsch gemacht haben, und wo sie in schwierigen Zeiten Trost und Mitgefühl finden.

 

All die kleinen und großen Oasen des Erbarmens sind potentielle Herde des Widerstandes. Denn niemand, der Mitleid hat, belässt es einfach bei schönen Worten.

Oasen suchen: sich widersetzen

Das Tätigkeitswort ‘sich widersetzen’ hilft, um in der Kälte der Mitleidlosigkeit aktiv nach Oasen zu suchen.

Wer sich widersetzt, wehrt sich gegen alles, was unmenschlich ist, auch gegen alle Entwicklungen in unserer Kultur, die Unheil und Leid über Menschen bringen.

Nun ziehen manche guten Christen (aber nicht nur sie), die Augenbrauen hoch, wenn man ihnen ans Herz legt, sich die widerspenstige Haltung des Widerstandes anzueignen. Widerstand passt auch nicht zum Zeitgeist. Gefragt sind heute eher Anpassung und ‚political correctness‘. Wir sind vorsichtig geworden, denn viele unserer Träume von einer besseren Welt haben sich als Illusionen entpuppt und ständig sind wir mit den Grenzen der Machbarkeit unserer Gesellschaft konfrontiert.

Eine neue Haltung des Widerstandes kann entstehen, wo wir uns folgendes abgewöhnen: die Neigung zur Anpassung, den Fatalismus und unsere Illusionen, die Welt nach unseren Maßstäben zu bestimmen. Angewöhnen müssten wir uns, dass wir unterscheiden lernen, worauf es heute wirklich und in erster Linie ankommt.

Ausgangspunkt dieser neuen Widerstandshaltung ist nicht die Machbarkeit der Gesellschaft, sondern das starke Bewusstsein, dass es Grenzen gibt, zu denen wir gemeinsam Ja sagen können. Das passiert etwa dort, wo jemand sagt: ‘Hier mache ich nicht mit’ oder ‘Das kann ich nicht akzeptieren’, und dann sagt noch jemand genau das und noch jemand usw.

Wer sich widersetzt, hat darüber hinaus nicht zuerst eine Utopie oder Ideologie im Kopf, die das Handeln bestimmt, sondern den Wärmestrom in unserer Geschichte samt dem dazu gehörenden konkreten Erbarmen. Natürlich kann auch die Wut über das unsagbar Böse Inspirationsquelle für Widerspruch und kreativen Widerstand sein.

Schließlich vermeidet es die neue Widerstandshaltung sich auf die Fehler der bestehenden Ordnung zu fixieren. Sie rechnet auch mit dem eigenen Versagen und lässt in Demut und Bescheidenheit immer auch Selbstkritik zu.

Wo Menschen diese Widerstandshaltung einüben, geraten sie von selbst in die Nähe zur Bibel, die auch als Widerstandsliteratur bezeichnet wird. So entdecke ich gerade in Leben, Leiden, Sterben und Auferstehung des Jesus von Nazareth die wichtigste und inspirierendste Quelle des Widerstandes. Weil in Jesu Auferstehung von Gott her Jesu Leben, das voller Widerstand gegen die Mächte des Bösen war, bestätigt wird, feiern wir an Ostern, dem größten Fest der Christenheit, Gottes Widerstandstat par excellence.

Christen und Christinnen, die gerade in der Osternacht ihr Taufversprechen erneuern, bekräftigen wir damit ihr Ja zum Widerstand gegen alles Böse und Todbringende in unserer Welt: „Ich widersage“ heißt darum auch „Ich widersetze mich, energisch und kraftvoll“. So bleiben all die Mächte des Bösen nicht länger ein Schicksal, in das wir wie gelähmt einwilligen. Nein wir widersprechen ihnen mit aller Kraft und wirken ihnen in heiligem Ungehorsam entgegen, damit das Erbarmen in unserer unterkühlten Welt an Raum gewinnt.

 

 

Kreuzweg 2018

Erinnerung des Leidens statt

Gleichgültigkeit und „versteinerte Herzen“

 

1. Station Jesus wird gefangen genommen.

 

V      Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.

A      Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

 

LeserIn 1: Mk 14,41-46.50.51 

LeserIn 2: Die Katastrophe spitzt sich zu. Jesus wird der römischen Macht ausgeliefert. Aber die Jünger schlafen in der Stunde der Gefahr. „Steh auf!“ hatte Jesus immer wieder zu Menschen gesagt, die am Boden lagen oder am Rand standen. Er war gekommen um auf-zu-richten. Er wollte, dass Menschen aufstehen, um die konfliktreichen Wege der Befreiung zu gehen – hin zum Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Deshalb hatte er zur Wachsamkeit gemahnt.

Nun aber ist alles zu spät. Jesu Aufforderung „Steht auf, wir wollen gehen!“ ist hier keine Ermutigung mehr, sich für Wege der Befreiung aufrichten zu lassen. Jetzt kann sie nur noch heißen: Begeben wir uns in die Gefangenschaft der römischen Macht. Sie richtet nicht auf, sondern führt zur Hinrichtung. Diesen Weg geht Jesus allein. Alle verlassen ihn und fliehen – nackt der letzte, der noch zur Nachfolge bereit war.

 

LeserIn 1: Gefangen und allein gelassen sind heute die Menschen, die zu Opfern der kapitalistischen Verhältnisse werden. Dass sich ihre Lage unter der Herrschaft des Kapitalismus verändern könnte, erscheint aussichtslos, je enger das Leben in der Krise des Kapitalismus wird. Im Gegenteil, der Kapitalismus droht für den ganzen Globus zum Gefängnis zu werden, dem nicht einmal durch Flucht zu entkommen ist.

Mariana, Brasilien, am 5. November 2015: In der Bergbaustadt brechen die Dämme zweier Rückhaltebecken, in denen die Abwässer einer Eisenerzmine gesammelt wurden. 60 Millionen Tonnen schwermetallhaltigen Schlamms ergießen sich über das Land und in den Flusslauf des Rio Doce. Der aus dem Becken flutende Klärschlamm begräbt umliegende Bergdörfer und einen Teil der Bewohner unter sich. Der Rio Doce wird zu einem giftigen Strom aus Rückständen von Eisen, Blei, Quecksilber, Zink, Arsen und Nickel. Rund 25.000 Menschen sind vom Trinkwasser abgeschnitten.

 

LeserIn 2: Diese ökologische Katastrophe ist jedoch keine Naturkatastrophe. Ihre Hintergründe sind alles andere als 'natürlich': Sie liegen in der Struktur des Kapitalismus begründet, der die Länder der Peripherien und große Teile ihrer Bevölkerung gefangen nimmt. Er bedient sich ihrer, um seinen Hunger nach Ressourcen für die industrielle Produktion zu stillen – von zu verarbeitenden Rohstoffen bis hin zu fossilen Brennstoffen, die als Treibstoff für die industrielle Produktion unverzichtbar sind. Während sich die kapitalistischen Zentren Rohstoffe und fossile Brennstoffe einverleiben, wird der Giftmüll in die Peripherien ausgelagert. Auf diese Weise werden Regionen in Asien und Afrika zu Giftmülldeponien der kapitalistischen Produktionsweise.

Zudem wurden in den letzten Jahrzehnten Regionen der Zweidrittelwelt als kostengünstige Standorte entdeckt. Was für Konzerne kostengünstig ist, macht die Beschäftigten zu Gefangenen der kapitalistischen Produktion. Sie sind gezwungen für einen Lohn zu arbeiten, von dem sie nicht leben können, und das unter unmenschlichen Bedingungen. Unzählige Beispiele lassen sich dafür aufzählen: Bekleidungsindustrie, Haushaltswarenproduktion, IT-Produktion, Rohstoffförderung usw. Fast alle Produkte, die in den Zentren konsumiert werden, sind ganz oder teilweise unter zerstörerischen Bedingungen global hergestellt worden.

LeserIn 1:  Durch die Einverleibung von Ressourcen und die Auslagerung der mit dem Kapitalismus verbundenen Probleme konnten sich die kapitalistischen Zentren über Jahrzehnte reproduzieren und stabilisieren. Auf Kosten anderer ließ sich in den Zentren gut leben. Dies hat wesentlich zu Einverständnis und Identifikation der gesellschaftlichen Mehrheit mit der kapitalistischen Vergesellschaftung beigetragen.

In den letzten Jahren wird jedoch immer deutlicher: Der Kapitalismus stößt auf Grenzen, die er nicht mehr überwinden kann: zum einen auf die Grenze, hinreichend Arbeit als Quelle von Wert- und Mehrwert verwerten zu können, aber auch auf die ökologischen Grenzen, die unendliches Wachstum unmöglich machen. Mit der Krise des Kapitalismus erreichen Armut und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, soziale Erosion und ökologische Probleme auch die kapitalistischen Zentren. Die scheinbar an die Peripherie ausgelagerten Probleme schlagen zurück. Klimawandel und Fluchtwanderung machen auch vor den durch Polizei und Militär gesicherten Grenzen nicht halt. Der ganze Globus wird zum Gefangenen des Kapitalismus und seiner zerstörerischen Dynamik. In diesem Gefängnis drohen alle zugrunde zu gehen, wenn es nicht gelingt, das Gefängnis zu überwinden. 

Psalm 55

LeserIn 2: Mk 6,30-37a

LeserIn 1: Die Szene spielt an einem „einsamen Ort“. Nach Markus sucht Jesus immer wieder solche Orte auf. Es sind keine Orte beschaulicher Einkehr, sondern Orte der Verwüstung. Damit spielt Markus auf die Situation an, die der Krieg der Römer gegen die Juden hinterlassen hat: die Verwüstung Israels, Jerusalems und des Tempels. An dieser Verwüstung kann Jesus nicht vorbei gehen. Und seine Jünger müssen genau das lernen: Der Weg des Messias kann nur ein Weg durch die Verwüstungen hindurch sein – nicht an ihnen vorbei oder über sie hinweg.

Die Verwüstung hinterlässt hungernde und orientierungslose Menschen. Sie sind „wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (V. 34). In dieser Situation kommt es zu einem Konflikt zwischen Jesus und den Jüngern. Sie wollen das Problem des Hungers mit Geld lösen. Dem tritt Jesus mit der Aufforderung entgegen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“

 

LeserIn 2:

Was sie haben, sind die fünf Brote der Tora. Von ihr – nicht vom Geld – wird Israel satt, weil sie eine Ordnung des Zusammenlebens vorsieht, in der alle ohne Geld Zugang haben zu dem, was Gottes Schöpfung als Grundlage des Lebens zur Verfügung stellt. Geld dagegen zerstört die Grundlagen des Lebens. Der Tempel, der zur „Räuberhöhle“ (Mk 11,17) verkommen ist, kassiert selbst noch die letzten Münzen armer Witwen für den Tempelschatz ein. Damit raubt er ihnen ihr ganzes Leben. Weil Geld zerstörerisch ist, sollen die Jünger, wenn sie unterwegs sind, um das Evangelium zu verkünden, „kein Geld“ (Mk 6,8) bei sich tragen. Einem Reichen rät Jesus, den Erlös für den Verkauf seiner Güter, den Armen zu geben. So kann er sein Geld auf gute Weise los- werden und ganz für das Reich Gottes zur Verfügung stehen. Wohin Geld gehört, macht Jesus im Streit um die Zahlung der Steuern deutlich: Es soll dem Kaiser zurückgegeben werden. Dann endlich kann Gott gegeben werden, was Gottes ist. Wo dies geschieht, können Menschen leben, weil sie in der Tora in Gottes Weisungen zu einem befreiten Leben Orientierung finden. Das Leben der Menschen, die Frage ob sie satt werden oder hungrig bleiben müssen, darf nicht vom Geld abhängig sein.

 

LeserIn 1:

In die völlige Abhängigkeit vom Geld haben sich die kapitalistischen Gesellschaften begeben. Ihre Grundlage ist die Vermehrung des Geldes als irrationaler Selbstzweck. Deshalb muss alles Leben bis hin zur Zerstörung aller Grundlagen des Lebens diesem verrückten Selbstzweck geopfert werden. Umso größere Opfer sind zu bringen, je weiter die Krise voranschreitet. Dies gilt als realistisch, während eine Gesellschaft ohne Geld als utopische Schwärmerei erscheint.

 

Gebet

V Gepriesen bist du Herr Jesus Christus, der du das Kreuz der Gedemütigten getragen hast.

A Wir bitten dich: Erbarme dich über uns und über die ganze Welt.

   

2. Station Jesus wird zum Tod verurteilt.

 

LeserIn 1: Mk 15,11-15

LeserIn 2: Das römische Imperium sicherte seine Macht dadurch, dass es gnadenlos gegen Menschen und Gruppen vorging, die sich seiner Herrschaft widersetzten. Nach der Logik von Brot und Spielen kam es dabei immer wieder zum Zusammenspiel zwischen den Vertretern der Herrschaft und dem Volk, das unter der römischen Herrschaft zu leiden hatte. Der Versuch, „die Menge zufriedenzustellen“ (V. 15) und so ruhig zu halten, ist eine Strategie, die Loyalität der Massen sicher zu stellen. Wer dabei geopfert oder begünstigt wird, entscheidet das wechselhafte Kalkül der Macht. Dem Kalkül der Macht und ihrem populistischen Zusammenspiel mit der Menge wird Jesus zu Folter und Kreuzigung ausgeliefert. Darin teilt er das Schicksal so vieler, die zu Opfern in den Kalkülen der Macht werden oder heute den Mechanismen eines zerbrechenden und durchdrehenden Systems ausgeliefert sind.

 

LeserIn 1: In den Zerfallsprozessen des Kapitalismus wird es immer weniger möglich, das Leben von Menschen in den Strukturen von Markt und Staat zu sichern. Märkte und Staaten zerfallen und hinterlassen verwüstete Orte, in denen Menschen im Krieg aller gegen alle – in Plünderungs- und Terrorbanden – um ihr Überleben kämpfen. Geschieht dies in Regionen, die für das kapitalistische Weltsystem von ökonomischer und strategischer Bedeutung sind, kommt es zu Kriegen, in denen das Militär versucht, Ordnung zu schaffen und die jeweiligen Interessen – ohne Rücksicht auf das Leben von Menschen – durchzusetzen. Menschen, die dem im Wege stehen, sind zum Tode verurteilt. Zu den jüngsten Beispielen, da militärisch Ordnung zu schaffen, wo ökonomische und strategische Interessen auf dem Spiel stehen, gehört der Krieg gegen Rojava.

 

Mitte Januar begann die „Operation Olivenzweig“ des türkischen Militärs im Norden Syriens gegen die dortigen kurdischen Selbstverwaltungsgebiete. Beim Angriff auf Afrin wurden bewusst zivile Ziele von türkischen Flugzeugen angegriffen. Beim Angriff auf Afrin wurden bewusst zivile Ziele von türkischen Flugzeugen angegriffen. Mitte März wurde die Stadt, begleitet von nationalistisch-chauvinis-tischem Siegesgeheul, eingenommen. 150.000 Menschen befinden sich auf der Flucht, mindestens 1500 kurdische Kämpfer wurden getötet.

Militärisch werden die kurdischen Gebiete in der Region Rojava von der YPG-Miliz verteidigt, die als Ableger der in den USA, Deutschland und der Türkei als Terrororganisation eingestuften PKK gilt. Bis vor kurzem wurden sie noch von den USA und Deutschland militärisch ausgerüstet. Sie sollten im Kampf gegen den ‚Islamischen Staat’ die amerikanischen (und russischen) Offensiven unterstützen. Für Deutschland und die USA gilt die YPG nicht als Terrororganisation; für die Türkei hingegen wird sie als kurdische Terrororganisationen seit den 1980er Jahren militärisch bekämpft – mit Panzern aus deutscher Produktion. Möglich gemacht wurde der aktuelle türkische Angriff erst dadurch, dass Russland den von ihm kontrollierten Luftraum freimachte. Die Türkei holte sich sozusagen die russische Erlaubnis, um die kurdischen Versuche zu beenden, ihr Zusammenleben in kritischer Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus durch Stärkung von Partizipation auf eine neue Grundlage zu stellen.

 

LeserIn 2: Der ‚imperialistische’ Feldzug der Türkei ist Ausdruck eines auf Ausgrenzung und Sicherheit zielenden paradoxen ‚Zerfalls-imperialismus’. Genauso wenig wie den USA als bisherige politisch-militärischer Hegemonialmacht wird es der Türkei gelingen, nach den ethnischen Säuberungsaktionen ein ihren Interessen konformes regionales ‚Regime’  aufzubauen. Obwohl die Türkei über die zweit-größte Armee im NATO-Bündnis verfügt, bleibt ihr ‚imperialer Fiebertraum’ einer Wiedererrichtung des Osmanischen Reiches ohne Grundlage in der Realität. Aufgrund der schwindenden Arbeit als Substanz kapitalistischer Verwertung kann er sich nur als das erweisen, was es ist: ein irrationaler, fieberhafter Wahn.

Die im Krieg gegen Rojava handelnden Akteure verfolgen wirtschaftliche und politische Interessen, um ihre Position in der kapitalistischen Konkurrenz zu stärken. Dazu gehören die Sicherung der Rohstoffzufuhr ebenso wie der Handelswege. In die in kapitalistischer Logik rationalen Interessen mischen sich Irrationalitäten wie der 'Fiebertraum' der Türkei von einer Wiederkehr des Osmanischen Reiches. Die Verrücktheiten und Widersprüche, die sowohl im Handeln von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren deutlich werden, sind eine Art Spiegelbild für die perverse, zerstörerische Verrücktheit und Leere der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie, die umso brutaler über Leichen geht, je mehr sie auf ihre Grenzen stößt. Einen Ausweg kann nur die Infragestellung des kapitalistischen Weltsystems aufzeigen.

 

Psalm 69

LeserIn 2: Mk 1,21-28

LeserIn 1:  Die erste Tat, die Jesus nach Markus vollbringt, ist die Heilung eines Menschen, „der von einem unreinen Geist besessen war“ (V. 23). In dem, was mit einzelnen geschieht, spiegelt sich immer auch das Ganze. Insofern macht der einzelne Besessene die Situation Israels deutlich. Israel ist von Rom besetzt. Eine fremde Macht, ein unreiner Geist hat es in Besitz genommen. Die Fremdherrschaft ist da umso fester, wo sie nicht nur auf äußerem Zwang beruht, sondern wo es ihr gelingt, auch die einzelnen Menschen in ihren Wahrnehmungen und Orientierungen so zu besetzen, dass sie von der Herrschaft besessen sind. Dann denken, reden und handeln sie von sich aus, aus ihrem Innern heraus aus der Logik der Herrschaft. Ihren Geist haben sie sich zu eigen gemacht. Weil auch „die Menge“ sich Befreiung nur in der Logik einer neuen Herrschaft vorstellen kann, schreit sie, als Jesus vor Pilatus steht: „Kreuzige ihn!“ (Mk 15,15). 

Auch Besessene können fromme Reden im Mund führen. Bei Markus sprechen Dämonen das christliche Bekenntnis aus. So weiß der Besessene in der Synagoge von Kafarnaum, dass Jesus „der Heilige Gottes“ (V. 24) ist. Im Munde von Menschen, die sich Geist und Logik der römischen Herrschaft zu Eigen gemacht haben, kann das Bekenntnis zu Jesus nur pervers und damit falsch sein. Deshalb droht Jesus dem Dämon und befiehlt im zu schweigen und den Besessenen zu verlassen. Die Befreiung von Besessenheit ist kein sanfter, sondern ein äußerst konfliktträchtiger Prozess, der damit einhergeht, dass Menschen hin und her gerissen werden.

 

LeserIn 2: Aufgeklärte Menschen mögen in den Geschichten von der Austreibung von Dämonen lediglich ein vormodernes Weltbild erkennen, mit dem heute kaum noch jemand etwas anfangen kann. Aber gerade sie haben sich „Geist und Logik“ des Kapitalismus so zu eigen gemacht, dass sie sich eher den Weg in eine globale Katastrophe als ein Zusammenleben von Menschen ohne Geld und Kapitalismus vorstellen können. Geist und Logik des Kapitalismus prägen nicht nur die gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen, sondern auch die Herzen und das Denken von Menschen. In ihrer Besessenheit erscheint ihnen der Weg in die Katastrophe als realistisch und alternativlos, die Überwindung des Kapitalismus als utopische Träumerei.

Jesu „neue Lehre mit Vollmacht“ hat Macht über die unreinen Geister. Aufgeklärte Menschen lassen sich nicht gerne belehren. Sie sind Selber-Denker. In ihnen selbst stecken aber Geist und Logik des Kapitalismus, den sie immer wieder neu als ihr eigenes Denken reproduzieren. Befreiung kann es nur durch eine kritische Reflexion geben, die erkennt, wovon das eigene Selbst beherrscht ist. Jesu Lehre ist die Unterscheidung zwischen Gott und Götzen. Er hat sie nicht „aus sich selbst“, sondern weil er sich hat belehren lassen – vom Gesetz und von den Propheten, von Israels Geschichte mit seinem Gott, der herausführt aus der Unterwerfung unter Systeme der Macht und deren Götzen.

 

 

3. Station Jesus wird verspottet.

 

LeserIn 1: Mk 15,25-32

LeserIn 2: Die Leute, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten“ finden zusammen im Spott gegenüber dem Opfer römischer Herrschaft. Ihr Herz hängt an der Macht. Hohepriester und Schriftgelehrte stehen auf der Seite Roms. Sie wollen an den Verhältnisse nichts ändern. „Die Leute“ – selbst Opfer der Machtverhältnisse – wollen einen machtvollen Retter – nicht eine gekreuzigte Elendsgestalt. Sie wollen nach oben, dahin wo die Herren schon sind. Nicht Überwindung der Machtverhältnisse, sondern Teilhabe an der Macht ist ihr Ziel. Die Herrschaft Roms soll durch die Herrschaft eines wieder hergestellten Reichs Davids ersetzt werden. Ein solcher „König von Israel!“ wäre ihnen willkommen. Für einen ohnmächtigen König am Kreuz haben sie nur Spott und Hohn übrig. Das hat er nun von seinen utopischen Schwärmereien vom Ende der Macht. Als humanitärer Träumer hat er anderen geholfen. Was das wert war, ist jetzt zu sehen. Hilflos hängt er am Kreuz der Römer. Ihm ist nicht zu helfen. Und selbst helfen kann er sich schon gar nicht.

Wenn die Herzen an Macht hängen, werden sie hart. Sie verschließen sich gegenüber dem Leid der Opfer. Statt empfindsam für ihr Leid zu sein, werden die Opfer abgewehrt. Die Vertreter der Ordnung und „die Leute“ sind sich darin einig, dass Herrschaft erhalten werden muss. Sie unterscheiden sich lediglich in der Frage, wer sie denn ausüben soll.

 

LeserIn 1: Die Opfer der Krise des Kapitalismus stoßen auf Abwehr sowohl bei den Trägern politischer Verantwortung als auch bei den sog. „kleinen Leuten“. Als bedrohlich erscheint nicht die zerstörerische Dynamik des Kapitalismus, sondern deren Opfer, die vor den Toren der westlichen Gesellschaft stehen. Gegen sie schließen sich politischer und medialer Rechtspopulismus, vom Abstieg bedrohte Mittelschichtler und „kleine Leute“, die selbst Opfer der Krisenprozesse sind, zusammen. Ihr gemeinsames Feindbild sind „die Fremden“.

Während „Fremde“ aggressiv abgewehrt werden, finden ihre Feinde gesellschaftliche Anerkennung – so auf der Leipziger Buchmesse, die sich Respekt, Toleranz und Vielfalt auf ihre Fahnen geschrieben hat. Genau dies ist die Begründung dafür, dass auch rechte Verlage sich auf der Buchmesse präsentieren dürfen. Der Chef des Börsenvereins verteidigte die Zulassung mit den Worten: „Wenn wir Meinungsfreiheit ernst nehmen, müssen wir sie auch jenen zugestehen, deren Wertvorstellungen und Meinungen wir nicht teilen, ja deren Ansichten wir sogar für gefährlich halten.“[1]

 

LeserIn 2: Während sich auf der Buchmesse unter dem postmodernen Leitwert der Vielheit rechte Verlage tummeln dürfen, teilt der Zentralrat der Muslime mit, dass seine Geschäftsstelle in der Kölner Innenstadt bis auf Weiteres geschlossen wird. Grund dafür ist eine Morddrohung, die bei der Geschäftsstelle in einem Brief eingegangen war, in dem sich als bedrohliche Zugabe weißes Pulver befand. „In dem Brief … wird unmissverständlich mit der Ermordung des Vorsitzenden des Zentralrats gedroht, wenn er es nicht unterlasse, 'die Afd zu beleidigen'.“[2] Der Vorgang ist umso mehr Besorgnis erregend, als es nur wenige Wochen zuvor einen Anschlag auf die Moschee in Halle gegeben hatte. Zudem gab es an einem Wochenende im März in mehreren Städten zwei weitere Brandanschläge auf Moscheen und Angriffe auf muslimische Kultureinrichtungen.

Von all dem ungetrübt erklärt der neue Heimatminister, der Islam gehöre nicht zu Deutschland – und bekommt Beifall von der AfD. Damit wird jener Rechtsruck befestigt, der mit der Wahl der AfD in fast alle Länderparlamente und in den Bundestag seinen bisher deutlichsten Ausdruck fand. Verbale wie manifeste Gewaltakten gegen Flüchtlinge und Muslime sowie die verschärften Abschottungspolitik Europas gegen Migranten und Flüchtlinge bringen ans Tageslicht, dass die Selektion in für die Verwertung des Kapitals Brauchbare und Überflüssige ebenso wie die Aussonderung durch Konkurrenz zu den Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft gehört.

 

LeserIn 1: Mit der Krise des Kapitalismus verschärft sich die Konkurrenz, während zugleich das soziale Netz abgebaut wird. Was die kapitalistische Gesellschaft nicht mehr schafft, Menschen über Strukturen eines sozialen Netzes einen Platz in der Gesellschaft zu sichern, soll jeder für sich allein leisten. Als Ich-AG soll er sich diesen Platz erkämpfen und sich den Zwang zu ständiger Selbstoptimierung und Selbstinszenierung angesichts wachsender Konkurrenz zu eigen machen.

Das überfordert die einzelnen und produziert Angst: die Angst, nicht mithalten zu können und sozial abzustürzen. Angst macht die Herzen eng und lässt sie versteinern. Sie werden – wie es der Psychologe Götz Eisenberg formuliert – „'abgehärtet' im physischen und psychologischen Sinn. Ihre Kälte ist eines ihrer prägnantesten Merkmale – kalt fremdem Leiden, aber auch sich selbst gegenüber. Aus der Härte gegen sich selbst leiten sie die Berechtigung ab, hart gegen andere sein zu dürfen.“[3]  

Von Überforderungs- und Abstiegsängsten durchsetzte Arbeitswut verbindet sich mit Überfremdungsangst und Wut auf Fremde. Wo Strukturen der Solidarität abgebaut werden, Menschen allein gelassen und auch noch für ihr Scheitern an der kapitalistischen Gesellschaft verantwortlich gemacht werden, muss sich niemand über die eskalierenden Ausbrüche von Wut und Hass, Terror und Gewalt wundern. Das Perfide an der sich in der Krise ausbreitenden aggressiven Konkurrenz ist, dass Menschen, die im globalen Kapitalismus auf der Seite der Verlierer stehen, gegeneinander ausgespielt werden: die Menschen, die vor sozialen und ökologischen Verwüstungen, vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen, gegen diejenigen, die in den kapitalistischen Zentren arm und überflüssig gemacht und dabei gedemütigt werden, oder gegen solche, die sich verzweifelt gegen den drohenden sozialen Abstieg wehren.

 

Psalm 12

LeserIn 2: Mk 10,35-45

LeserIn 1: Jakobus und Johannes wollen Teilhabe an Herrschaft – sogar in privilegierter Stellung. Das ärgert die anderen. Auch sie sind von dem Wunsch besessen, an der neuen Herrschaft eines davidischen Großreichs teil-zu-haben. Genau damit aber folgen sie einer Logik der Herrschaft, der Logik derer, die „ihre Völker unterdrücken“ (V. 42).

Markus setzt sich in immer neuen Anläufen damit auseinander, dass der Messias Jesus nicht als neuer Herrscher zu verstehen ist. Ein solcher Messianismus hatte ja in die Katastrophe des Krieges der Römer gegen die Juden und seine Folgen geführt. Der Messias kann nicht in der Logik von Macht und Herrschaft verstanden werden. Er ist gekommen, „um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (V. 45). Dass der Messias kein strahlender Sieger, sondern ein Verlierer sein soll, das ist schwer zu verstehen. Deshalb trat ja bereits Petrus Jesus entgegen, als er deutlich zu machen versuchte, dass sein Weg an das Kreuz der Römer führen werde. Petrus wird scharf zurück gewiesen. Er soll sich Jesus nicht in den Weg stellen, sondern hinter ihn treten.

 

LeserIn 2: In immer wieder neuen, fast verzweifelten Anläufen versucht Markus deutlich zu machen, was Jesu Dienst bedeutet. Er ist als Dienst des Gottesknechtes zu verstehen. Als Knechte Gottes gelten diejenigen, die sich ganz in den Dienst der Befreiung aus den Sklavenhäusern der Geschichte stellen. Das führt nicht zu Triumphzügen nach Art der römischen Sieger in den vielen Kriegen, sondern zu Kreuzwegen. Sie führen in die Konfrontation mit den herrschenden Verhältnissen und deshalb an die Seite der Opfer und in die Ohnmacht des Kreuzes. Auf diesem Weg bleibt Jesus seinem Gott treu und darin seiner Sache der Befreiung. In der Tradition der Gottesknechte kann dieser Weg und die Bereitschaft, sein Leben als „Lösegeld“ hin zu geben, verstanden werden. Lösegeld wird gezahlt, um Sklaven oder Kriegsgefangene auszulösen. Was Jesus zahlt, ist kein Geld. Das gehört den römischen Herren. Das Lösegeld, das er einsetzt, ist sein Leben als Knecht Gottes, ein Leben, das ganz im Dienst von Israels Gott der Befreiung steht. Das Schicksal seines Lebens steht für die Hoffnung, dass der Dienst all derer, die sich in Gottes Dienst der Befreiung stellen, Früchte der Befreiung hervorbringen werden.

 

4. Station Jesus stirbt am Kreuz

 

LeserIn 1: Mk 15,33-39

LeserIn 2: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (V. 34). Jesu Schrei nach Gott ist sein letztes Gebet. Darin können wir einen Leitfaden des Evangeliums nach Markus erkennen. Angesichts der Katastrophe des Krieges ringt Markus mit der Frage: Hat Gott sein Volk verlassen? Jetzt, wo Jesus am Kreuz mit dem Tode ringt, wäre es Zeit zur Rettung. Aber die Stimme aus dem Himmel, die Jesus als „geliebten Sohn“ angesprochen (1,11) und verkündet hatte (9,7), schweigt.

Stattdessen lässt sich die Stimme des Hauptmanns vernehmen: „Dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (V. 38). In ihr artikuliert sich kein Glaubensbekenntnis. Sie bleibt die Stimme eines Römers, dazu die eines römischen Henkers. In seiner Perspektive kann nur der Kaiser „Gottes Sohn“ sein. Ein an der Macht Roms in Elend und Verzweiflung gescheiterter Messias soll „Gottes Sohn“ gewesen sein? Die Stimme des Hauptmanns konstatiert das Scheitern und die Absurdität einer Hoffnung, die sich an einem solchen „Sohn Gottes“ fest machen will.

 

Markus spricht davon, dass der Hauptmann „Jesus gegenüberstand“ (V. 38). Jesus gegenüber stehen bei Markus die Gegner Jesu. Zu ihnen zählen nicht zuletzt die Dämonen als Ausdruck dafür, dass Israel von Rom besetzt ist und viele so von der römischen Herrschaft besessen sind, dass sie sich ihr unterwerfen. Dämonen können ein wörtlich korrektes Bekenntnis zu Jesus artikulieren wie „Du bist der Heilige Gottes“ (1,24).

 

LeserIn 1:  Und dennoch ist dieses Bekenntnis falsch und dämonisch. Erkennen, wer Jesus ist, kann nur, wer mit der Herrschaft Roms bricht. Als Messias ist Jesus nur für die erkennbar, die ihn nicht als strahlenden Sieger jenseits aller Katastrophen sehen, sondern ihn als Knecht Gottes verstehen lernen, der seinen Weg nicht über die Katastrophen hinweg, sondern durch sie hindurch geht. Der Glaube an den Messias muss den Katastrophen stand-halten können. Denjenigen, die dem Messias Jesus vertrauen, ist der Weg verwehrt, jenseits der Katastrophen Glück und Erfüllung zu suchen. Es wäre ein Glück, das sich zwanghaft und illusionär vom Unglück der anderen abgrenzt und vor der Wirklichkeit der Katastrophen flieht. Rettung kann es aber nur geben, wenn die Letzten zu ihrem Recht kommen und darin alle. 

 

LeserIn 2:  „In ihren Gesichtern stehen Erschöpfung und Verzweiflung, einige der Frauen, Männer und Kinder weinen. Die Menschen schleppen, was sie an Habseligkeiten tragen können – Decken, Taschen und Körbe. Andere haben Kleinkinder auf dem Rücken oder schieben gebrechliche Verwandte in Schubkarren durch die Ruinenlandschaft... 'Es gibt kein Wasser, keine Medikamente, kein Essen nichts mehr', berichtet ein Mann dem Sender 'Al Dschasira'.“[4]

 

Die Rede ist von der Flucht aus der umkämpften Rebellenenklave Ost-Ghuta, in der Menschen aus zerstörten Gebieten und vor russischen und syrischen Luftangriffen fliehen. Ähnliches spielt sich in Rojava, Afghanistan, Myanmar und vielen anderen Orten auf dem Globus ab. Der Globus zerbricht als Ort des Lebens. Viele können es nicht mehr sehen, schauen weg und flüchten sich in Innerlichkeit und 'positives Denken'. Kaum zu ertragen ist nicht nur das Leid der anderen, sondern auch die Angst, selbst auf einem Pulverfass zu sitzen und auf der Straße der Verlierer zu landen. Und so suchen viele Zuflucht im Verdrängen und Verleugnen der Krisen. Aggressiv wehren sie sich gegen die Einsicht, die Krisen könnten etwas mit dem zusammenbrechenden Kapitalismus zu tun haben.

Zudem sind die vereinzelten Individuen in den sog. reichen Ländern immer größeren Belastungen ausgesetzt, weil die Krise des Kapitalismus auf die einzelnen abgeladen wird. Was politisch und gesellschaftlich im Rahmen des Kapitalismus nicht zu lösen ist, sollen jetzt die einzelnen in Eigenverantwortung tun - und das bei einbrechender sozialer Sicherung und gesellschaftlicher Infrastruktur. Sie sollen sich fit machen und halten für einen immer schärferen Konkurrenzkampf.

 

LeserIn 1: Angesichts wachsender, kaum noch auszuhaltender Belastungen und psychisch kaum zu bewältigender Überforderungen suchen die Vereinzelten nach Entlastung. Auf den Märkten esoterischer Ratgeber wird Rettung in Strategien 'positiven Denkens“ und in der Suche nach einem vermeintlich heilen Inneren, nach einem authentischen Selbst angeboten. Menschen sollen, die werden, die sie in den Tiefen ihrer Seele angeblich bereits sind. Solche Angebote sind illusionär, da es unabhängig von den ‚äußeren’ Verhältnissen kein Heil in einem vermeintlich heilen Inneren gibt.

Die Wirklichkeit von Krisen und Katastrophen lässt sich weder positiv weg denken noch tiefenpsychologisch weg therapieren. Auch in sich selbst stoßen Menschen auf all jene Probleme, die von außen auferlegt sind, auf Probleme, die nieder drücken und depressiv machen: Zeit- und Leistungsdruck, finanzielle Sorgen und die Angst, abzustürzen. Befreiung führt über die kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Rettung kann es nur in Perspektiven geben, die der Wirklichkeit standhalten. Rettung kann es zudem nicht unabhängig von den anderen geben, vor allem nicht unabhängig denen, die als „die Letzten“ im gesellschaftlichen Gefüge am meisten unter der zerstörerischen Dynamik des Krisenkapitalismus zu leiden haben und daran zugrunde gehen.

 

Psalm 22

LeserIn 2: Mk 9,2-10

LeserIn 1: Die Jünger wollen den Himmel, die Erfüllung ihrer Sehnsüchte in drei Hütten fest-halten. Die Flucht aus der Wirklichkeit aber ist ihnen verwehrt. Sie sollen das tun, was für alle Juden die Grundlage ihres Glaubens ist: „Höre, Israel!“ heißt das erste Gebot. So sollen auch die Jünger auf die Stimme Gottes hören, die sich in Mose und Elija Gehör verschafft und sich nun im Weg des Messias an das Kreuz der Römer zum Ausdruck bringt.

Israels Gott konfrontiert mit der Wirklichkeit, mit den Sklavenhäusern in der Geschichte. Deshalb führt der Weg des Messias mitten hinein in die Konfrontation mit den Verhältnissen des römischen Reiches und darin in Leid und Tod. Durch das Leiden an der Wirklichkeit hindurch bahnt sich der Weg zur Auferstehung. Wer den Himmel jedoch in Hütten bannen will, bleibt in Illusionen und Selbstbetrug gefangen. Es ist der Selbstbetrug, der sich und andere glauben machen will, die Flucht aus der Wirklichkeit könne trösten und beständiges Glück sichern.

Wer sein Glück in Hütten bannen will, kann mit der Botschaft von der Auferweckung des gekreuzigten Messias und der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nichts anfangen, weil sie die Fixierung auf ein kleines abgeschottetes Glück überschreitet und als illusionär erscheinen lässt. Solche Illusionen des Glücks können der Wirklichkeit nicht standhalten.

 

LeserIn 2: Angesichts des Trugs von Illusionen rät Markus zur Wachsamkeit. Gemeint ist die Wachsamkeit angesichts von geschichtlichen Katastrophen, die Menschen sozial und in ihrer Seele erleiden. Wer wachsam ist, sucht nach der Überwindung von Grenzen, der Grenzen des eigenen Ego, der Grenzen einer Gesellschaft, die in Krisen und Katastrophen treibt und nicht zuletzt der Grenzen, die der Tod setzt.

Wachsamkeit verbindet Markus mit Beten. Mit der Aufforderung „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet.“ (Mk 14,38) weckt Jesus die am Ölberg schlafenden Jünger auf. Jesus selbst betet an „einsamen“, d.h. an wüsten und leeren Orten. Sein Beten flieht nicht vor Verwüstung und Zerstörung, sondern nimmt sie 'ins Gebet', in sein Bedenken der Wirklichkeit vor seinem Gott, im Gespräch mit Mose und Elija, das heißt mit den Traditionen des Glaubens. Solches Gebet macht wach. Es lässt auf-stehen, den Weg in die Konfrontation mit den Verhältnissen gehen und darin zur Auferstehung.

Und so spricht Jesus inmitten der Katastrophe und angesichts seines gewaltsamen Todes sein letztes Gebet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“? (Mk 15,34). Und weil Jesus seine Verlassenheit nicht hinaus in die Leere, sondern Gott ins Angesicht schreit, hält er auch noch angesichts des Scheiterns an seinem Gott und der Hoffnung fest, dass er an ihm und allen Gescheiterten wahr mache, was er mit seinem Namen versprochen hat: Aufstehen gegen den Tod und dagegen, dass der Tod das 'letzte Wort' haben soll.

Ökumenisches Netz und Dekanat Koblenz 2018 (Lieder, sich wieder-holende Gebete und Pausen der Stille wurden nicht übernommen)

 

2018 in Büchel

 

Hoffnungsvoller Ostermarsch

Ostern ist ein wunderbarer Zeitpunkt, um die politischen Entscheidungsträger an die christliche Friedensbotschaft zu erinnern: „Wenn wir Christen in der Osternacht unser Taufversprechen erneuern, bekräftigen wir damit unser Ja zum Widerstand gegen alles Böse und Todbringende in der Welt:  „Ich widersage“  heißt auch: Ich widersetze mich, energisch und kraftvoll.  Weil in Jesu Auferstehung von Gott her Jesu Leben, das voller Widerstand gegen die Mächte des Bösen war, bestätigt wird, feiern wir an Ostern, dem größten Fest der Christenheit, Gottes Widerstandstat par excellence.“ So beschreibt der Moral-theologe und Hochschulrektor Pater Bernd Werle SVD die Haltung Jesu Christi.  Es ist gut, wenn wir uns  an Tagen wie Ostern auf die Wurzeln unseres Friedensengagements besinnen.

Seit 2010 gibt es den Ostermarsch in Büchel, der gemeinsam von Pax Christi Trier und der Regionalgruppe Cochem-Zell des Internationalen Versöhnungsbundes veranstaltet wird.  Dieses Jahr war es etwas Besonderes: Die Verleihung des Friedensnobelpreises an ICAN und die post-pubertären Drohgebärden von Trump und Kim Yong-Un haben dieses Jahr  mehr Menschen in Bewegung gebracht und davon überzeugt, dass nukleare Waffen in den Mottenschrank der Geschichte gehören. Daher kamen doppelt so viele wie im Vorjahr nach Büchel um ihren Protest gegen die dort gelagerten Atombomben kund zu tun:  Etwa 500 Menschen, Jung und Alt trafen sich am Bücheler Industriegebiet, um von dort bei strahlender Sonne  in einem bunten und munteren Zug zum Haupttor zu gehen. Pax-Christi-Freunde kamen u.a. aus dem Saarland, Trier und Bonn. Erfreulich hoch war das positive Medieninteresse von Presse, Fernsehen und Rundfunk vor, während und nach der Veranstaltung. 

Die Kundgebung bot neben Ansprachen von ICAN und  Richard Pestemer auch Musik und ein erheiterndes wie nachdenkliches Pantomimenspiel zur aktuellen Nuklearpolitik der Großmächte. Leider war die Mikrofonanlage etwas schwach dimensioniert – was weniger die Pantomime als die Redner einschränkte.  Ich fand besonders erfreulich, dass viele der Teilnehmer erstmals gekommen waren:  Aus Bad Kreuznach hatten einige Evangelische Kirchengemeinden einen Bus mobilisiert - und sie wollen wiederkommen. Oder da war beispielsweise ein netter und jung gebliebener Bäckermeister aus der Eifel, der erstmals und allein nach Büchel kam. Einige Tage danach waren es Nachbarn aus meinem Dorf, die in der Zeitung oder im Fernsehen vom Ostermarsch in Büchel erfuhren und sagten, dass sie unser Engagement gut fänden. Andere suchten wiederum den Dialog, statt uns zu beschimpfen. Es scheint ein wenig Bewegung in die Menschen der Region zu kommen, und vielleicht hat unser Friedensgebet mit Bischof Ackermann im vergangenen Jahr ein wenig die Herzen und Ansichten der Menschen gewandelt.

Thomas Gerhards

 

Weitere Proteste sind absolut notwendig

 

Motiviert durch die Verleihung des Friedensnobelpreises 2017 an die "Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen" (ICAN) verstärken wir den Druck auf die Politik weiter. Wir werden 20 Wochen lang in Büchel in der Eifel protestieren, vom 26. März bis 9. August 2018. Die 20 Wochen stehen für die 20 Atombomben, die in Büchel stationiert sind.

Die US-Regierung plant, diese Atombomben aufzurüsten. Die neuen Atombomben, Typ B61-12, sind zielgenauer, flexibler und dadurch „besser“ einsetzbar. Eine neue Spirale der atomaren Aufrüstung hat begonnen. "Alle Staaten, die Atomwaffen besitzen, haben entweder begonnen, sie zu modernisieren oder langfristige Programme dafür angekündigt", sagte Shannon Kile vom Stockholmer Friedensfor-schungsinstitut SIPRI. Washington will bis 2026 etwa 400 Milliarden Dollar investieren.

Gleichzeitig wird durch die Kündigung des Atomwaffenabkommens mit dem Iran durch die USA zusätzlich gezündelt. Auch ist trotz sich anbahnender Verhandlungen zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten noch kein Vertrag über die Atombomben in trockenen Tüchern. Durch die Aufkündigung des Vertrages mit dem Iran durch die USA wird auch dort mit dem Feuer gespielt. Der Iran hat schon eine erweiterte Urananreicherung angekündigt. Ein Atomkrieg hätte unvor-stellbare Folgen für die Bevölkerung und alles Leben auf der Erde.

Leider müssen wir zurzeit trotz des UN-Beschlusses von 2017 vor allem auch im Kontext der NATO gegenläufige Tendenzen feststellen. Das als regierungskritisch und linksliberal geltende Magazin "Panorama" des Norddeutschen Rundfunks (ARD) hat Anfang des Jahres eine "offene Debatte" über eine "deutsche Atombombe" angemahnt. Zur Begründung hieß es, "kein Staat" könne derzeit "sicher" sein, dass die USA unter ihrem Präsidenten Donald Trump "bedingungslos andere NATO-Verbündete verteidigen". Um Russland in dieser Situation durch "Abschreckung" von einem Angriff auf Mitglieder der Militärallianz abzuhalten, brauche es Nuklearwaffen in nationaler Verfügungsgewalt, erklärten die Sendungsmacher. Zahlreiche Experten aus Politik, Medien und Think Tanks äußern sich ähnlich. Die Frage, ob das atomare Kriegspotential den militärischen Gremien der EU oder der Bundesregierung unterstehen soll, ist dabei kontrovers.

Auch wenn die Öffentlichkeit immer wieder wie am 27.03. beim Hörspiel des WDR unter dem Titel „Die Bomben von Büchel“ – Autor: Gerhard Klas - informiert wird, sind auch die diesjährigen Aktions-wochen in diesem Jahr zwingend erforderlich. ChristenInnen aus verschiedenen Landeskirchen und aus der deutschen Sektion pax christi haben zu einer besonderen Aktion am 7. Juli aufgerufen. Im Aufruf heißt es: „Glauben, Gewissen und politische Vernunft bewegen uns, Massenvernichtungs-waffen abzulehnen. Wir laden alle Menschen ein, die für den Abzug und das Verbot der Atomwaffen sind, vor dem Fliegerhorst öffentlich und gewaltfrei dafür einzutreten und den Umstieg auf eine friedenslogische Außen- und Sicherheitspolitik zu fordern.“ Weiter wird die Bundesregierung, die sich bislang weigert, entsprechend tätig zu werden, aufgefordert, den Abzug der Atomwaffen zu veranlassen.

Der Aufruf fordert die Bundesregierung auf, dass sie

-           den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet,

-           die „nukleare Teilhabe“ innerhalb der NATO beendet,

-           für den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland und   

       Europa eintritt,

-           ihre Außen- und Sicherheitspolitik zivil orientiert.

 

Als Hintergrund für diese Forderungen sei hier der Verfassungsrechtler Deiseroth mit einem Auszug aus dem Hörspiel des WDR zitiert:

„Die nukleare Teilhabe Deutschlands ist ja ein heißes Eisen, muss man sagen. Deutschland hat sich ja im Atomwaffensperrvertrag völker-rechtlich verbindlich verpflichtet, keine Atomwaffen zu besitzen, keine zu erwerben und auch auf jede mittelbare und unmittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen zu verzichten. Die nukleare Teilhabe, die auf Beschlüssen der NATO beruht, beinhaltet jedoch, dass die Bundeswehr wie vier weitere NATO-Staaten Atomwaffen-träger bereit hält in Gestalt der Tornadoflugzeuge. Wenn im Falle des Falles diese deutschen Flugzeuge mit deutschen Piloten fliegen und Atomwaffen an Bord nehmen und diese Atomwaffen dann abwerfen, stellt sich die Frage, wieso soll das eigentlich keine Verfügungsgewalt der Deutschen sein und wieso soll dies vereinbar sein mit dem Atomwaffensperrvertrag, der ja, wie gesagt, jede mittelbare und unmittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen verbietet. Diese Frage wird in Deutschland nicht ernsthaft diskutiert.“

Auch im Juli und August wird weiter in Büchel protestiert. Hier wird auf die wöchentliche Mahnwache dienstags 15:00 Uhr und das Fasten-brechen am 09.08. 11:00 Uhr noch ausdrücklich hingewiesen.

 

Rede beim Ostermarsch 2018

Es folgt ein Auszug der Rede Heidi Kassais beim diesjährigen Ostermarsch in Büchel. Sie ist Mitglied bei ICAN, der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen.

… Es ist Zeit für einen Abschied von Atomwaffen – und wir haben allen Grund optimistisch zu sein, denn 2017 markiert einen Wendepunkt zu Frieden und Abrüstung. Warum? Der Atomwaffenverbotsvertrag vervollständigt die internationalen Rahmenbedingungen, um alle Massenvernichtungswaffen endgültig zu verbieten und dies als gesellschaftliche Norm geltend zu machen. Ich sage das trotz der Aufrüstungsspirale, die gerade stattfindet, weil ich ermutigt bin, dass die weltweite Bewegung, deren Zeugen wir alle sind, am Ende gewinnen wird: ich spreche von ICAN mit ihren 468 Partnerorganisati-onen.  Es sind 100.000-ende von Einzelpersonen, Zivilgesellschaften, Organisationen, humanitäre Initiativen, Überlebende der Atom-bombenabwürfe 1945 und Opfer der Atombombenversuche, deren Beitrag hierfür anerkannt und gesehen wurde – weltweit.

Setsuko Thurlow sagte in ihrer Nobelpreis-Rede: „Menschlichkeit und Atombomben können nicht koexistieren. Diese Waffen sind kein notwendiges Übel, sie sind das ultimative Übel“.

Welches Denken liegt dennoch bei denen zugrunde, die meinen, nukleare Waffen unbedingt besitzen zu müssen? Es ist folgendes Gedankengut: Die Existenz derjenigen grundsätzlich zu verneinen, die als Feindbilder gesehen werden, und bereit zu sein, sie mit einer extrem zerstörerischen Kraft auszulöschen.

Doch sowohl Feindbilder als auch Atombomben sind Erfindungen von Menschen und können nur von diesen wieder abgeschafft werden. Wir müssen also vor allem die Gedanken, die zu Atombomben führen, für immer, oder immer wieder, korrigieren, um Massenvernichtungswaffen und damit den Willen, andere zu zerstören, endgültig zu eliminieren. Diese Änderung geht von dem einzelnen Menschen aus.  Daher ist ein kollektiver Wunsch einzelner Menschen nach Frieden die einzige Möglichkeit für eine Änderung hin zum dauerhaft Friedlichen. Solange es Atomwaffen gibt, wird die Frage des Weltfriedens und der Menschenrechte nicht gelöst werden können.

Der Verbotsvertrag, der das Recht auf Leben und die Würde jedes einzelnen Individuums beschützen wird, kommt jetzt in eine entscheidende Phase. Wir müssen uns jetzt noch stärker zusammen-tun – die Solidarität der einfachen Menschen wird die treibende Kraft sein, dass alle Menschen in Frieden und Würde leben können.

Sicher haben Sie alle auch die Freude miterlebt, die um den Globus ging, als ICAN den Friedensnobelpreis verliehen bekommen hat. Diese Freude stammt vor allem aus der Bestätigung, dass, wenn sich  einzelne Menschen zusammentun und einen langen Prozess der Bemühung durchleben, tatsächlich den Verlauf der Geschichte ändern können. Es ist die Art der Freude, die aus der Befähigung kommt, die menschlichen Herausforderungen gemeinsam lösen zu können und das Schicksal dieser Erde nicht den Machthabern  überlassen zu müssen/ zu wollen. …

 

Was wir auslagern, kommt zurück!

 

Im Wirtschaftsseminar 2018 des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar, der Globalisierungskommission und des Diözesanverbandes Trier von pax  christi wurden mit Hilfe des Buches „ Neben uns die Sint-flut“ des Soziologen Stephan Lessenich die sozialen und ökologischen Krisenprozesse der kapitalistischen Gesellschaft ins Visier genommen. Die zerstörerischen Folgen unserer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsform werden inzwischen in Medien und wissenschaft-lichen Analysen mehr als deutlich verhandelt. Beispielsweise haben die Politologen Brand und Wissen ihre Studie „Unsere Imperiale Lebensweise“ genannt, in der sie ebenso wie Lessenich darstellen, dass wir uns unsere Lebensweise nur leisten können, weil wir deren zerstörerische Folgen für Mensch und Natur „externalisieren“.

Anhand vieler Beispiele aus zahlreichen Ländern des Globus dokumentiert Lessenich die Zerstörungswut dieses Systems. Er sieht nicht nur in den genannten Beispielen, sondern generell in Alltagshandlungen und Alltagsgegenständen ein gemeinsames Wesen, das er als Externalisierung kennzeichnet. Gemeint ist damit eine strukturelle Auslagerung von allem, was nicht vor der eigenen Haustür gesehen werden will oder soll. Er beschreibt kurz die koloniale und imperialistische Geschichte des Kapitalismus und beschreibt ihn als ein auf „Expansion“ und Überschreiten „von eigenen Grenzen“ angelegtes „Wirtschaftssystem“. Die Marktstrategien weltweit operierender Firmen und – als andere Seite der Medaille – die staatlichen Standortpolitiken, wie sie rund um den Globus betrieben werden (…), bilden nur die gegenwärtige, wenngleich neuerlich forcierte Variante dieser systemisch angelegten Expansionstendenz“. Zusammenfassend sagt er: „Die Möglichkeit, ungleiche Tauschverhältnisse im Weltmaßstab durchzusetzen und aufrechtzuerhalten, beruhte historisch auf dem Aufstieg des zentralisierten Verwaltungsstaats, dem Ausgriff der europäischen Mächte auf Territorien und Bevölkerungen im Rest der Welt, schließlich auf der Anwendung militärischer Gewalt zur Sicherung der Position der europäischen Staaten – und des Wohlstands ihrer Nationen – im Weltsystem.“

Der Kapitalismus kann sich eben nicht aus sich selbst heraus erhalten. Er bedarf ständig der Zufuhr von Werten aller Art wie Arbeit, Land, Bodenschätze, Hand-, Kopf- und Care-Arbeit usw. Er lebt von der Existenz eines ‚Außen’, das er sich einverleiben kann ohne dass sein angeblich ewiges Feuer ziemlich rasch erlöschen würde“. Als den Mechanismus der Externalisierungsgesellschaft sieht er die Ausbeutung (nicht als Teil der Marx’schen Arbeitswertlehre begriffen), die er als Grundlage der Herstellung genereller sozialer Ungleichheit ansieht.

Die Gegenwart ist laut Lessenich dadurch gekennzeichnet, dass das Verdrängte zurückkehrt: der Nebel löst sich auf. Klimawandel und Flüchtlinge sind unübersehbare Zeichen der globalen Ausbeutungs-praxis. Damit stellt sich für den Autor die Systemfrage. Einen Ausweg gibt es weder über grünen Kapitalismus oder anderes Konsumhandeln noch über verstärkte Subsistenz. Er sieht die Möglichkeit zur Transformation des Kapitalismus in einer „globalen Demokratie“. „Das  Ziel der Transformation (muss) ein nachhaltiger Wandel nicht nur sozialer Praktiken, sondern insbesondere gesellschaftlicher Institutionen sein – die nämlich erst eine Verstetigung veränderter sozialer Praktiken ermöglichen würden.“  Als Basis dafür sieht er beispielsweise den Umbau des Welthandelsregimes oder die wirkungsvolle Verankerung globaler sozialer Rechte.

Lessenich sieht deutlich, dass dieses System transformiert werden muss, aber seine Vorschläge, in denen er gegenwärtige Institutionen als Ansatz der Veränderung auf eine „globale Demokratie“ hin benennt, greifen offensichtlich zu kurz. Das dürfte daran liegen, dass er zwar die äußere Grenze des Systems (in einer endlichen Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben) weitgehend im Blick hat, nicht aber  die innere, logische Schranke des Kapitalismus (die Arbeit als Grundlage der Wertschöpfung minimiert sich im technologischen Entwicklungsprozess), ebenso wenig wie die Abhängigkeit des Staates und seiner Institutionen vom Verwertungsprozess und weitere zu kritisierende Kategorien der kapitalistischen Gesellschaftsformation.

Die Thesen Lessenichs und ihre kritische Reflexion führten zu der Frage, worauf wir uns konzentrieren sollten. Drei Punkte sollen hier angesprochen werden:

·        Theoretische Reflexion der wesentlichen Hintergründe dieses gesellschaftlichen Systems.

·        Bestehen darauf, dass angesichts des materiellen Reichtums die Grundbedürfnisse der Menschen (Nahrung, Wohnen etc.) erfüllt werden.

·        Den konkreten Opfern der kapitalistischen Zerstörungswut beistehen, auch wenn das nicht das System ändert.

 

„Die Finger in die Wunden legen“

 

Wenn ich auf das diesjährige Wirtschaftsseminar zurückblicke, waren die Informationen und Diskussionen dort für mich ein Beitrag zur Selbstvergewisserung. Gerade weil ich weiß, dass diese Auseinandersetzung mit unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem und die entsprechenden Analysen nicht selten Ratlosigkeit hinterlassen, möchte ich meine subjektive Sicht darstellen. Dabei sollen Aspekte eine Rolle spielen, die im Bericht zum Seminar benannt wurden. Dort hieß es:

·         Theoretische Reflexion der wesentlichen Hintergründe dieses gesellschaftlichen Systems.

·         Bestehen darauf, dass angesichts des materiellen Reichtums die Grundbedürfnisse der Menschen (Nahrung, Wohnen etc.) erfüllt werden.

·         Den konkreten Opfern der kapitalistischen Zerstörungswut beistehen, auch wenn das nicht das System ändert.

 

1.   Wenn jemand davon ausgeht, dass unser kapitalistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem dem Wohl der Menschen dient, kann er diese Überzeugung nur aufrechterhalten, wenn er seine zerstörerischen Folgen für die Erde und ihre Bewohner ausblendet. Die Bedeutung von Darstellungen wie die von Stephan Lessenich in seinem Buch „Neben uns die Sintflut“, das dem diesjährigen Seminar zugrunde lag, besteht für mich darin, dass sie unübersehbar und unüberhörbar machen, dass die Zerstörungsspur unaufhaltsam sich ausbreitet. Schon in vergangenen Jahrzehnten wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die hochentwickelten Zentren auf Kosten der Peripherie leben. Lessenich stellt besonders an den Beispielen von Klimawandel und den nach Europa drängenden Flüchtlingen dar, dass inzwischen die Folgen dessen, was durch unser System verdrängt, sprich externalisiert wird, zu uns zurückkehren. Das gilt bei weitem nicht nur für die Länder in fernen Kontinenten oder die Erdatmosphäre, sondern auch für unsere eigene Gesellschaft. Die Diskussion über den Zugang zu den Tafeln hat es offenbart. Einmal zeigt sich, dass Millionen von Menschen auch bei uns nicht von dem leben können, was ihnen zur Verfügung steht. Das System läuft, gerade weil viele hinten herunterfallen. Zum anderen zeigt das Angebot der Tafeln die Perversität eines Produktionssystems, dass Lebensmittel nicht für den Bedarf, sondern für den Verkauf herstellt und der Kapitalvermehrung dient. Menschen mit Kaufkraft leben im Überfluss, Mittellose bestenfalls von dem, was von deren Tischen herabfällt.

Wenn der Spiegel, der auf diese Weise Wirtschaft, Politik, ja der Gesellschaft insgesamt vorgehalten wird, verzerrt, dann nicht etwa deshalb, weil er die Probleme vergrößert, sondern weil er noch nicht mal alle Folgen sichtbar machen kann. Studien zum System oder seine Skandale – beispielsweise Betrug bei den Schadstoffen der Autos oder den Cum-ex-Geschäften von Banken und ihren Kunden oder die weitergehende Monopolisierung – erschüttern den Glauben an die „Wohltaten“ der Marktmechanismen aufs heftigste. Wer weiterhin von den Segnungen des Marktes spricht, weiß nicht, wovon er redet oder hat sich den Interessen gewinnsuchender Akteure unterworfen. Auch die Ablenkungsmanöver zu Lasten der Ausgebeuteten und Überflüssigen erweisen sich als haltlos, auch wenn es manchmal gelingt, mit ihnen Stimmung zu machen.

2.          Mit Recht wird angesichts des offenkundigen Desasters danach gefragt: was kann eigentlich dieses System erfolgreich bremsen oder gar ganz zum Halten bringen? Stephan Lessenich (s.o.) zum Beispiel fordert einen nachhaltigen Wandel nicht nur sozialer Praktiken sondern insbesondere auch von gesellschaftlichen Institutionen. Er führt dazu unter anderem an eine Revision des Welthandelsregimes, eine effektive Besteuerung, den Umbau in eine Postwachsökonomie, die Verzögerung des Klimawandels bzw. der egalitären Bewältigung seiner Folgen und die wirkungsvolle Verankerung globaler sozialer Rechte. Auch wenn bei ihm offenkundig wird, dass zahlreiche Vorschläge wie solidarökonomische Projekte, Konsumethik oder technikoptimistische Ökonomien im Kontext eines Postwachstums, die auf dem Tisch liegen, nicht für einen Wandel reichen, dürfte seine Hoffnung auf eine „Instandbesetzung der politischen Institutionen“ zu kurz greifen. Das dürfte aus verschiedenen Gründen nicht gelingen.

Manche setzen auf den Erfolg staatlicher Regulative. Deren Nutzen ist schon im Einzelfall sehr begrenzt, und sie haben insgesamt nicht dazu geführt, dass sich das kapitalistische System gemäßigt hat. Trotz deutscher (z.B. Bundeskartellamt) oder europäischer Regulierungs-behörden – siehe Bayer Leverkusen und Monsanto - steigert sich ständig die Marktmacht großer internationaler Konzerne. Die entsprechenden Einrichtungen halten nur selten dem wirtschaftlichen Druck stand. Das verwundert nicht, da Regierungen keine andere Perspektive verfolgen als die wirtschaftlichen Akteure. Wenn Politik zurzeit über die Segnungen des Freihandels oder auch seine Grenzen streitet, geht es immer darum, wie das bestehende System am besten floriert. Aber auch die Tatsache, dass Personen von heute auf morgen aus der Wirtschaft in die Politik (vgl. die gegenwärtige Besetzung von hohen Regierungsämtern) und aus dieser in die Wirtschaft wechseln, zeigt die Gemeinsamkeit der Ziele. Es ist von vorneherein nicht zu erwarten, dass sich durch einen Positionswechsel die Denkstrukturen der Betreffenden ändern. Die den Einzelnen zugesprochene Kompetenz enthält eben nicht nur die Kenntnis von Sachbereichen, sondern ist geprägt von grundsätzlichen Herangehensweisen. Ein neues Amt oder neue Rollen schaffen keinen Paradigmenwechsel.

Alle Veränderer handeln aus dem bestehenden System heraus. Ihre Vorstellungen sind bei allem Erneuerungswillen auch immer schon durch das Bisherige geprägt. Das gilt auch für die genannten Vorschläge. Das Welthandelsregime oder die Theorien zum Postwachstum oder eine Konsumethik und auch viele weitere Beispiele sind durch und durch von ökonomischen Vorstellungen geprägt, die Basis des gegenwärtigen ökonomischen Regimes, also des Kapitalismus, sind.

Zudem sind institutionelle Veränderungen, wie sie Lessenich fordert, keine Einbahnstraße. Wenn er sagt, dass sie in Stand besetzt werden müssen, so muss man sehen, dass jeder, der sie verändern will, maßgeblich durch das beeinflusst wird, was er vorfindet.. Wer verändern will, lässt sich auch durch das Vorgefundene verändern. Ergebnisse von Revolutionen, deren Regime sich dann keinesfalls als menschenfreundlich erwiesen, sondern eminente Unterdrückung hervorbrachten, mahnen bei den Erwartungen zur Zurückhaltung.

3.          Man kommt also nicht daran vorbei, sich der Logik des kapitalistischen Systems zu stellen, das sich als konsequente Geldvermehrungs-maschinerie erweist. Die Produktion erfolgt nicht aufgrund menschlicher Bedürfnisse, sondern um des Gewinns wegen. Alles, was sich verkaufen lässt, muss hergestellt, in Wert gesetzt werden. Der Konkurrenzdruck mit Wachstumsideologie nimmt weder Rücksicht auf die begrenzten – weil der Erdball nun mal endlich ist - Ressourcen noch scheut er sich, menschliche Existenz auf sich zuzurichten und bzw. zu eliminieren. Da diese Zusammenhänge schon oft im Rundbrief dargestellt wurden, sollen hier nur einige Anmerkungen erfolgen. Zum System gehört es, dass die Tätigkeit und der Einsatz für die Reproduktion keinen Wert darstellen, weil durch sie nichts in Wert gesetzt wird (R. Scholz: Wertabspaltung). Denn Menschen, die nicht für den Verwertungsprozess gebraucht werden, deren „Arbeit“ nicht gefragt ist oder die nicht zur Reproduktion beitragen, werden überflüssig. Ihr Leben ist bedroht oder beeinträchtigt, je nachdem, wo sie in diesen Prozessen „ihren Platz“ gefunden haben. Der sich ständig erweiternde Verwertungsprozess schafft Gewinner und Verlierer, Nutznießer und Verlierer, Elite, Leistungsträger, Arbeitssklaven und Ausgeschlossene. Der Zugriff des Systems geht weit über diese Einteilungen hinaus.

Durch seine gesellschaftliche Vermittlung werden die Menschen in ihrem Inneren geprägt. Sie werden in ihrer Geschlechterrolle bestimmt. Aber auch die vehemente Verbreitung narzisstischer Selbst-wahrnehmung gibt Zeugnis von dieser Innenwirkung.

Diese Allgegenwart des Kapitalismus macht noch einmal deutlich, dass es wohl offenbar keinen Angelpunkt außerhalb gibt, der eine Überwindung ermöglicht.

4.          pax-christi-Mitglieder fragen sich angesichts dieser wenig aussichtsreichen Perspektiven, wie gehe ich mit dem um, was ich an Not, Elend und desaströsen Zuständen sehe? Das führt zum letzten der drei Punkte oben. Für zahlreiche unserer Mitglieder gehört es zu ihrem Selbstverständnis, dass sie neben den friedenspolitischen Aktivitäten nicht an der Not ihrer Mitmenschen vorbeigehen, sondern dem Beispiel des Samaritaners folgen und dem Menschen, der in seinen Lebenschancen bedroht ist, zum Nächsten werden. Als konkretes Beispiel mag der Einsatz bei der Initiative für Suchtkranke in Koblenz, STEG e.V. dienen – vgl. unseren letzten Rundbrief.

Solche Zuwendung, die den Blick auf die Lebenswirklichkeit konkreter Menschen richtet und an ihrer miserablen Situation nicht vorbeigeht, ist in unserer Gesellschaft gar nicht so selten verankert. Ein Beitrag des HR vom 20.03. unter der Rubrik „Engel fragt“ hatte den Titel „Bin ich bereit zu teilen“. Neben den Gesprächen mit Menschen, die angesichts ihrer persönlich außerordentlich guten Verhältnisse zu teilen bereit waren, wurden auch Initiativen der konkreten Hilfe vorgestellt. Es fiel auf, dass dort vorgestellte Initiativen großen Wert darauflegen, den jeweiligen Menschen nicht als Bittsteller zu begegnen, sondern im Helfen ihre Würde zu achten.

Die Leiterin der Tafel in Offenbach lädt ihren Lieferwagen, mit dem sie Obst und Gemüse auch deshalb ausfährt, weil mancher nicht mehr in der Lage ist, sich so ohne weiteres zu bewegen. Besonders auffallend ist ihre Begegnung mit einer alten Dame, die den Weg zur Tafel zu Fuß gemacht hat und erzählt, dass sie von dem ersparten Fahrgeld in einem Cafe ein Frühstück einnimmt. Diese Begegnung zeichnet sich dadurch aus, dass es keinen Sparappell gibt und die Frau diese Stunde wie viele andere genießen konnte. Das ebenfalls dargestellte Frühstücksangebot der Franziskaner in Frankfurt vermittelt die Atmosphäre eines einfachen Restaurants. Die Besucher werden als Kunden wahrgenommen, an den Tischen bedient und zahlen jeweils 0,50 €. Konkrete Hilfe ändert nicht die Verhältnisse, aber erweist sich so als Geste, dass mancher trotz Notlage in Würde existieren kann.

Eine Initiative wie die Sozialtherapeutische Einrichtung für Sucht-kranke(STEG) ist aber auch nicht zu denken ohne den politischen Einsatz für die Grundbedürfnisse konkreter Menschen. So können wir den Finger in die Wunden dieser Gesellschaft legen und gleichzeitig um ein Mehr an Lebensmöglichkeiten kämpfen.

5.              Dieser praktische wie auch politische Einsatz wird nicht selten von Politik, Wirtschaft und Behörden abgewimmelt. Manchmal geschieht das durch Leugnung der Zustände. Beispielsweise heißt es dann – die weltweiten Ergebnisse dieses Systems sind dabei noch nicht mal angesprochen - Menschen, die Hartz IV bezögen, seien nicht arm. Das geht sowohl an deren Bedarfen vorbei wie es auch leugnet, das es zig Menschen gibt, die noch nicht mal das zur Verfügung haben. Die Tafeln machen eben deutlich, dass Menschen nicht genug zum Essen haben. Die geschätzten 850 000 Obdachlosen zeigen, dass ihnen das in unseren Breiten notwendige Dach über dem Kopf vorenthalten wird. Die über 100 000 kostenlos von freiwilligen Ärzten Behandelten, weil sie nicht krankenversichert sind, verdeutlichen, dass Ihnen das Grundrecht auf Gesundheit vorenthalten wird. Wer solche Grundbedürfnisse für seine Mitmenschen einfordert, wird nicht selten Aussagen zu mangelnden Finanzierungsmöglichkeiten erhalten. Die Frage auf die Forderung heißt dann, wie sollen wir das finanzieren? Ebenso werden Lösungen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.

Meines Erachtens kann man hier nur die Umkehrung der Beweislast fordern. Nicht derjenige, der einfordert, dass die Grundbedürfnisse von Menschen nicht von wirtschaftlichen und politischen Optionen ab-hängig gemacht werden dürfen, muss nachweisen, wie diese erfüllbar sind. Es ist umgekehrt. Ein System, das diese Bedürfnisse nicht erfüllt, stellt sich selbst in Frage, delegitimiert sich. Diejenigen, die es und seine Folgen - für Mensch und auch die Erde - vertreten, müssen sich rechtfertigen. Sie stehen auf dem Prüfstand und nicht die Menschen mit ihren Bedürfnissen, ihren für das Leben notwendigen Bedarfen.

6.          Vor wenigen Tagen haben wir Christen in den Kar- und Ostertagen das Geheimnis von Tod und Auferstehung des Erlösers Jesus Christus gefeiert. An ihm sind die Mächte des Todes, wie sie im damaligen Regime verankert waren, sichtbar geworden. Die Auferstehungs-botschaft spricht nun genau von deren Überwindung. Nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern uns Menschen wird verheißen, dass der Vater Jesu ein Gott des Lebens ist. Die Auferstehung ist Aufstand gegen die Mächte des Todes, gegen die Mächte des Todes, wie sie sich auch gerade in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zeigen, das um der Gewinnvermehrung Menschen ausgrenzt und ihnen die Grundlagen des Lebens entwendet. 

Im Ostergottesdienst spricht unser Pfarrer von dieser Überwindung der Todesmächte durch die Botschaft der Auferstehung. Das Aufstehen der Schülerinnen und Schüler in den Vereinigten Staaten gegen das todbringende Waffenrecht wird so zum Zeichen des Lebens. Die Auferstehung Jesu hat die Jünger aus der Resignation und Trauer geholt. Sie macht sie zu mutigen Botschaftern des Herrn. Das ist ansteckend.

Jede Selbstvergewisserung hat subjektive Perspektiven und Argumentationsmuster, sie braucht aber auch Einsichten und sachliche Auseinandersetzung. Ich hoffe, dass mein Versuch auch anderen Hinweise gibt, aber mehr noch Mut, sich den todbringenden Verhältnissen nicht auszuliefern und nicht zu resignieren. Die christliche Botschaft hat sich auf der Basis der Thora und der Propheten (christlich-jüdische Tradition) im römischen Reich herausgebildet, diesem damals anscheinend unüberwindlichen Herrschaftsgebilde. Die Ostererfahrung der Jünger Jesu – sein Kreuz und seine Auferweckung - wurde damit zum Hoffnungszeichen in einer Welt der Unterdrückung und des Todes. Dieses Hoffnungszeichen ist auch in der gegenwärtigen Welt mit ihren todbringenden Mächten aufgerichtet. Im Vertrauen darauf hoffen wir auf eine Überwindung dieser Mächte. Aber auch der Blick in die menschliche Geschichte gibt dieser Hoffnung Nahrung. Immer aufs Neue sind gesellschaftliche Zustände durch andere abgelöst worden. Wenn es nicht von außen geschah, haben bestimmte Konstellationen dazu geführt, dass die „Welt“ eine andere wurde. Unsere Gegenwart ist nicht das „Ende der Geschichte“.

                                                                               Albert Hohmann

 

Weltordnungskrieg gegen Rojava

 

Mitte Januar begann die „Operation Olivenzweig“ des türkischen Militärs im Norden Syriens gegen die dortigen kurdischen Selbstverwaltungsgebiete. Beim Angriff auf Afrin wurden bewusst zivile Ziele von türkischen Flugzeugen angegriffen. Militärisch werden die kurdischen Gebiete in der Region Rojava von der YPG-Miliz verteidigt, die als Ableger der in den USA, Deutschland und der Türkei als Terrororganisation eingestuften PKK gilt. Bis vor kurzem wurden sie noch von den USA und Deutschland militärisch ausgerüstet, um im Kampf gegen den ‚Islamischen Staat’ die amerikanischen (und russischen) Offensiven zu unterstützen. Für Deutschland und die USA gilt die YPG nicht als Terrororganisation; für die Türkei hingegen schon, die sie  wie zuvor andere kurdische Organisationen seit den 1980er Jahren militärisch bekämpft – mit Panzern aus deutscher Produktion. Präsident Erdogan formulierte dies laut dpa so: „Zuerst werden wir die Terroristen ausrotten, dann werden wir es dort lebenswert machen.“ Möglich gemacht wurde der türkische Angriff erst dadurch, dass Russland den von ihm kontrollierten Luftraum freimachte. Die Türkei holte sich sozusagen die russische Erlaubnis, um die kurdischen Versuche zu beenden, ihr Zusammenleben in kritischer Auseinander-setzung mit dem Kapitalismus durch Stärkung von Partizipation auf eine neue Grundlage zu stellen. Die kurdischen Selbstverwaltungs-gebiete werden zwischen den in Syrien aktiven Mächten aus geopolitischen, ethnischen und anderen ideologischen Motiven heraus zerrieben. Solange dabei ‚nur’ die KurdInnen ums Leben kommen, erregt dies kaum Aufmerksamkeit. Wenn die Türkei aber weiter vorrückt und ggf. auf in Manbidsch stationierte Truppen des NATO-Partners USA trifft, könnte dieser Angriff unvorsehbare Folgen zeitigen. Dann wäre auch hier die Aufregung groß.

 

Der Angriff der Türkei im syrisch-kurdischen Gebiet ist Ausdruck des Zerfalls der kapitalistischen – bis vor kurzem noch von den USA militärisch verteidigten – Weltordnung. Tomasz Konicz verweist zurecht auf den Zusammenhang zwischen der krisenhaften Ökonomie im kapitalistischen Weltsystem und der politischen Ebene: „Dem uferlosen Akkumulationszwang des Kapitals in der Sphäre der Ökonomie entspricht der Expansionsdrang der kapitalistischen Staaten, der in Wechselwirkung mit eben den Widersprüchen der Kapitalverwertung steht (imperiale Expansion um neuer Märkte, neuer Ressourcen wegen).“ (Konicz 2017)

Angesichts der Krise des Kapitalismus – hervorgerufen durch die Schranken der Kapitalverwertung aufgrund schwindender Arbeitssubstanz – kann der Kapitalismus nicht mehr als (immer mehr Arbeit einverleibender) Erweiterungsimperialismus begriffen werden, sondern mutiert zum ‚Ausgrenzungs- und Sicherheitsimperialismus’ (Robert Kurz). Entsprechend muss auch das Streben der Türkei, die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete zu vernichten, nicht als „Bilderbuchimperialismus“ (Konicz 2018), sondern als Ausdruck eines auf Ausgrenzung und Sicherheit zielenden paradoxen ‚Zerfalls-imperialismus’ verstanden werden. Genauso wenig wie die USA als bisherige politisch-militärische Hegemonialmacht, einer der reichsten Staaten der Erde und Zufluchtsort für Geldanlagen in Krisenzeiten (vgl. Kurz 2013/2008), wird es der Türkei gelingen, ein ihr gemäßes (regionales) ‚Regime’ nach der ethnischen Säuberungsaktion aufzubauen. Ihr „imperialer Fiebertraum einer Wiedererrichtung des Osmanischen Reiches“ (Konicz 2018) kann sich trotz der zweitgrößten Armee im NATO-Bündnis aufgrund der schwindenden Arbeit als Substanz kapitalistischer Verwertung (vgl. Kurz 2003) eben nur als das erweisen, was es ist, nämlich als irrationale, fieberhafte Vision.

 

Russland als neuer Player in der Region – mit dem Ziel größeren regionalen Einflusses und Protektor des Assad-Regimes sowie neuerdings der Türkei – ebenso wie der Westen mit seiner langen imperialistischen Historie haben in diesem Zusammenhang sicherlich geopolitische Interessen (Bosporus, Einfluss in der ölreichen Region, Abwehr von Flüchtlingen, Abwehr einer möglicherweise anti-kapitalistischen Alternative und Aufrechterhaltung der national-staatlichen Ordnung), die sie mit allen Mitteln schützen wollen, um das kapitalistische Rad am Laufen zu halten – Stichwort: Rohstoffzufuhr und Handelswege sichern (vgl. Kurz 2003 und Böttcher 2011). Darin zeigt sich der auf den Zerfall der Weltordnung zielende Krisen-imperialismus. Er kann sich auf immanent-rationale (geopolitische Interessen) oder eben auch auf irrationale Weise („Fiebertraum“ der Türkei) darstellen. Die Verrücktheiten und Widersprüche, die sowohl im Handeln von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren deutlich werden, sind eine Art Spiegelbild für die perverse, zerstörerische Verrücktheit und inhaltslose Leere der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie, die umso brutaler über Leichen geht, je mehr sie auf ihre Grenzen stößt.

 

Der Zerfall des kapitalistischen Weltsystems, der sich nur allzu deutlich in der zunehmenden Zahl sog. failed states und den erfolglosen Militärinterventionen der USA und seiner Verbündeten zeigt, kann durch keine Macht und keinen Versuch von Expansion geordnet werden – auch nicht in Form der autoritären ‚Regime’ Russlands oder der Türkei. Diese andere Art des Imperialismus, der nun von mehreren Akteuren vollzogen wird, ist dabei ähnlich „massenmörderisch“ (Konicz 2018) wie seine Vorgängerversion, wovon die KurdInnen ein trauriges Lied singen können. Einen Ausweg kann nur die Infragestellung des kapitalistischen Weltsystems aufzeigen, die neben den notwendigen Protestaktionen sozialer Bewegungen und Friedensorganisationen unerlässlich ist.

Literatur:

-       Böttcher, H. (2011): Die Bundeswehr greift an. Oder lieber doch nur „Schulfrei für die Bundeswehr“?, Koblenz, http://www. oekumenisches-netz.de/wp-content/uploads/2016/10/ NT11-01.pdf

-       Hemicker, L. (2018): In Manbidsch droht ein Nato-GAU. http://www.faz.net/aktuell /politik/ausland/syrien-in-manbidsch-droht-der-nato-gau-15414999.html

-       Konicz, T. (2018): Afrin. Erdogans Werk und Putins Beitrag.  https://www.heise.de/tp/features/Afrin-Erdogans-Werk-und-Putins-Beitrag-3947341.html

-       Ders. (2017): Alte neue Weltordnung. https://www.heise.de/tp/features/Alte-neue-Weltordnung-3875356.html

-       Kurz, R. (2003): Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung, Bad Honnef.

-       Ders. (2013/zuerst 2008): Weltmacht und Weltgeld. Die ökonomische Funktion der US-Militärmaschine im globalen Kapitalismus und die Hintergründe der neuen Finanzkrise, in Ders. (2013): Der Tod des Kapitalismus. Marxsche Theorie, Krise und Überwindung des Kapitalismus, Hamburg (s. auch http://www.exit-online.org/link.php?tabelle= autoren&posnr=344).

Ökumenisches Netz                                         Koblenz, 07.02.2018.

 

­­Der Weg Afghanistans zu den Taliban

In einem Artikel unter dem Titel: Afghanistan: „Gorbatschows erstes „Geschenk“ an den Westen“ stellt Matin Baraki die Vorgeschichte zum Entstehen der Taliban dar. Er verweist dabei ausdrücklich auf die Fehler der Demokratischen Volkspartei Afghanistans und die US-amerikanische Destabilisierungspolitik. Im Folgenden werden größere Abschnitte des Artikels zum Verständnis wiedergegeben. Auch wenn das Land in den Medien vorrangig nur noch unter der Flüchtlings-perspektive auftaucht, soll es nicht in Vergessenheit geraten.

Afghanistan gehörte Anfang der 70er Jahre in allen Bereichen zu den am wenigsten entwickelten und ärmsten Ländern der Welt, laut UNO-Statistik schon damals das unterentwickeltste Land Asiens. Das jähr-liche Prokopf-Einkommen betrug 1977 rund 150 US-Dollar. Auf einer Fläche von 652 660 km² lebten ca. 17 Millionen Menschen unter feuda-len bzw. vorfeudalen Verhältnissen. Circa 5 % der Großgrundbesitzer verfügten über etwa 50 %, im Norden des Landes sogar 2 % über 70 % des Bodens. Es existierte teilweise Leibeigenschaft, die Großgrundbe-sitzer betrieben sogar eigene Gefängnisse. Etwa 97 % der Menschen konnten weder lesen noch schreiben. Im öffentlichen Leben kamen sie daher – wie in allen traditionellen islamischen Gesellschaften – de facto nicht vor.

Die Revolutionsregierung begann unmittelbar nach dem Aufstand mit der Realisierung von Reformmaßnahmen wie der Regelung von Ehe- und Scheidungsangelegenheiten (Dekret Nr. 7 vom 17.10.1978), der Bodenreform (Dekret Nr. 8 vom 28.11. 1978) sowie mit einer umfassenden Alphabetisierung im ganzen Land.“

„Als die Alphabetisierungsmaßnahmen auf die ländlichen Regionen ausgedehnt wurden, kam es jedoch zu gravierenden Fehlern. Sie wurden ohne Berücksichtigung der sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen in den ländlichen Gebieten durchgesetzt. So wurden z. B. Mädchen und Frauen gezwungen, gemeinsam mit den Männern an den Kursen teilzunehmen.“

„Bei der Umsetzung der Bodenreform wurden gleichfalls schwerwie-gende Fehler gemacht. Zum einen blieben Stammesstrukturen unberücksichtigt, zum anderen wurden die Bauern weder politisch noch materiell auf die Reform vorbereitet. In aller Regel sind Großgrund-besitzer zugleich auch Stammes- bzw. Religionsführer, was es ungeheuer erschwerte, deren Land an Untergebene zu verteilen.“

„Alle genannten Aspekte zusammengenommen und die weiter bestehende Spaltung der Partei führten zwangsläufig zur Stärkung der Konterrevolution. Ende 1979 war die Lage der Regierung so hoffnungs-los, dass sowjetische Militärhilfe unumgänglich wurde. Aus einer Mini-Revolution wurde eine Mega-Konterrevolution. Unmittelbar nach der Revolution begannen konterrevolutionäre Banden, die von westlichen Politikern und Medien als Mujaheddin (Heilige Krieger) bzw. sogar Freiheitskämpfer gefeiert wurden, mit ihrem erbitterten Kampf gegen die neue Regierung und versuchten, die Reformen zu verhindern. Sie terrorisierten Politiker und Parteiaktivisten, die an der Umsetzung der Reformen unmittelbar beteiligt waren. Bevorzugt wurden Bildungs-einrichtungen, vor allem Mädchenschulen, zerstört, Lehrkräfte umgebracht und das Trinkwasser der Schulen vergiftet. Bis Ende 1362 [1983/84] wurden 1814 dieser Einrichtungen – das ist die Hälfte aller Schulen in Afghanistan – und 130 Krankenhäuser zerstört. Der Gesamtschaden belief sich auf 35 Milliarden Afghani.“ 

„Die Existenz von Trainingslagern ist wohl nicht mehr ernsthaft zu bezweifeln, denn nicht nur kommunistische Quellen sprechen von ihnen. Die Aufständischen selber verweisen stolz auf amerikanische, chinesische und islamische Finanz-, Ausbildungs- und Waffenhilfe. Der große Plan scheint aber zumindest vorerst wegen der sowjetischen Einmischung undurchführbar geworden zu sein: über Kabul und anderen Städten, die noch als Stützpunkte der Regierung dienten, hätten im Laufe des Januars oder Februars mit Fallschirmen eine große Zahl von Rebellen abspringen sollen und dem verhassten kommunistischen Regime endgültig den Garaus machen sollen. Woher die dazu benötigten Flugzeuge hätten kommen sollen, darüber schweigt man sich allerdings geflissentlich aus“, berichtete Mitte Ja-nuar 1980 die großbürgerliche Neue Zürcher Zeitung aus Peshāwar.“

„Mit dem sowjetischen Militärengagement seit dem 27.12.79, basierend auf Art. 4 des afghanisch-sowjetischen Freundschaftsvertrages vom 5.12.78 und Art. 51 der UN-Charta, gewann der innerafghanische Kon-flikt eine neue Qualität. Er wurde internationalisiert und zunächst ver-deckt, später ganz offensichtlich von den meisten westlichen Ländern, einschließlich der BRD und ihrer regionalen Verbündeten …, geschürt.“

„Die imperialistischen Länder waren hoch erfreut, die Sowjetunion in eine Falle gelockt zu haben, … In seinen Memoiren gab der ehema-lige CIA-Direktor Robert Gates zu: „Die amerikanischen Geheimdienste haben den afghanischen Mujaheddin 6 Monate vor der sowjetischen Intervention zu helfen begonnen.“ Vom ehemaligen Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter (1977–1981), Zbigniew Brzezinski, wurde das … wie folgt bestätigt: „Ja. Nach der offiziellen Version der Geschichte hat die Hilfe der CIA an die Mujaheddin angefangen im Laufe des Jahres 1980, d. h. nachdem die sowjetische Armee am 24. Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert war. Aber die Realität, bis jetzt geheim gehalten, ist eine ganz andere. Es war tatsächlich der 3. Juli 1979, an dem Präsident Carter die erste Direktive über die geheime Unterstützung für die Opponenten des prosowjetischen Regimes in Kabul unterzeichnet hat. Und an diesem Tag habe ich dem Präsidenten eine Notiz geschrieben, in der ich ihm erklärte, dass meiner Ansicht nach diese Hilfe eine militärische Intervention der Sowjets zur Folge haben würde.“ Er führt weiter aus: „Wir haben die Russen nicht gedrängt zu intervenieren, aber wir haben die Möglichkeit, dass sie es tun, wissentlich erhöht.“ Ab 1979 wurde gegen Afghanistan „die größte Geheimoperation in der Geschichte der CIA durchgeführt“. Es wurden unmittelbar unter der Regie des US-Geheimdienstes CIA und dessen pakistanischer Bruderorganisation Inter Service Intelligence (ISI) etwa 35 000 radikale Islamisten aus 40 islamischen Ländern zu schlagkräftigen, bewaffneten Organisationen umstrukturiert und auf Afghanistan losgelassen. … Auch der Al-Qaida Chef Osama Ben Laden wurde mit Hilfe der CIA nach Afghanistan gebracht. Der Führer der Islamischen Partei, Gulbudin Hekmatjar, „der Mann, der für alle wichtigen Geheimdienste dieser Welt arbeitete, der Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat“,war der Favorit von CIA/ISI… Dem „Spiegel“ zu Folge sind die Islamisten in den ersten zehn Jahren des Bürgerkrieges in Afghanistan offiziell mit „mehr als 2 Milliarden US-Dollar hochgerüstet worden“. Die einzige Mujaheddin-Gruppe, die mehr als 1000 US-amerikanische Stinger-Raketen und 300 britische Blowpipes erhielt, die zuvor nur an NATO-Länder geliefert wurden, war die Islamische Partei von Hekmatjar.“

„Die UNO-Vollversammlung ermächtigte den UNO-Generalsekretär (Resolution vom 18.11.1981) nach einer politischen Lösung des Afghanistan-Problems zu suchen. Dazu wurden folgende vier Grundsätze festgelegt: a) Die Wahrung der Souveränität, territoriale Integrität, Unabhängigkeit und Bündnisfreiheit Afghanistans, b) das Recht des afghanischen Volkes, eine eigene Regierungsform und ein eigenes wirtschaftliches, politisches und soziales System ohne Einmischung, Subversion, Zwang und Nötigung jeglicher Art von außen zu wählen, c) sofortiger Rückzug fremder Truppen aus Afghanistan und d) Schaffung von notwendigen Bedingungen zur freiwilligen Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat.

Am 14. April 1988 wurde in Genf ein sechs Jahre in Anspruch nehmendes, in indirekten Verhandlungen zwischen Afghanistan und Pakistan unter der UNO-Ägide ausgehandeltes Abkommen unterzeichnet.“

„… die letzten sowjetischen Soldaten … überquerten am 6. Februar 1989 die „Freundschaftsbrücke“ über den Grenzfluss „Amu Darja“ zwischen Afghanistan und der Sowjetunion.“ „Obwohl die USA und die Sowjetunion als Garantiemächte sich verpflichtet hatten, nach dem Abschluss der Genfer Abkommen ihren jeweiligen Verbündeten nicht mehr zu unterstützen, leisteten die USA und ihre Verbündeten, trotz Abzug der sowjetischen Armee, weiter jegliche Hilfe an die Islamisten. Damit ging der Bürgerkrieg am Hindukusch weiter.“

„Der vom Volk so heiß ersehnte Frieden kehrte infolgedessen mit dieser Machtübertragung nicht zurück. Im Gegenteil, der Krieg wurde im wahrsten Sinne des Wortes gegen das afghanische Volk und unter den Islamisten selbst mit einer nie da gewesenen Brutalität fortgesetzt. Die Weltöffentlichkeit hat dies kaum wahrgenommen, aber „die letzten Nachrichten aus der afghanischen Hauptstadt Kabul lassen selbst den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina beinahe als harmlosen Konflikt erscheinen: 3000 bis 4000 Tote, 200.000 Flüchtlinge, eine Stadt ohne Wasser, Strom und Lebensmittel“. Die großen Städte, darunter Kabul, wurden in Schutt und Asche gelegt.“

„Das historische Versagen der Islamisten – von Stabilisierung des Landes konnte keine Rede sein – stand im Widerspruch zu den politisch-ökonomisch und strategischen Interessen ihrer ausländischen Auftraggeber. Denn nach deren Auffassung sollte ein mit den USA und Pakistan eng kooperierendes Regime in Afghanistan stabile politische Verhältnisse schaffen, um die Konzeption des US- und des pakista-nischen Kapitals in der Region des Mittleren Ostens – insbesondere in den mittelasiatischen Republiken – zu realisieren. Damit war die Geburtsstunde für die Taliban gekommen, deren Ende mit der Besetzung Afghanistans durch die USA vollzogen wurde.“

 



[1]      Kölner Stadt-Anzeiger vom 15.3. 2018.

[2]      Ebd.

[3]      Götz Eisenberg, Die Versteinerung der Herzen. Die sich in immer Lebensbereichen ausbreitende Logik des Kapitalismus schafft einen psychopathischen Sozialcharakter. Über den Ursprung und die Ausbreitung sozialer Kälte, in: junge welt, 2016.

[4]      Marten Gehlen, Exodus aus der umkämpften Rebellenenklave Ost-Ghuta, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 17./18.3.

 

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